Atomkraft in Bulgarien

Es gibt zwei AKW-Standorte in Bulgarien, zwei laufende Reaktoren am Standort Kosloduj und zwei unfertige Blöcke in Belene.

AKWs in EUROPAexternal link, opens in a new tab auf einer größeren Karte anzeigen

Atomenergienutzung - Kosloduj

In Bulgarien lieferten 2022 zwei Atomreaktoren 32,5 Prozent der Stromerzeugung. Alle sechs Reaktoren in Kosloduj entstammen der sowjetischen Baulinie WWER. Bulgarien musste der Schließung der Reaktoren 1-4 im Zuge der EU-Beitrittsverhandlungen zustimmen, da diese Reaktoren mit Blick auf das Sicherheitssystem, den Standort, das Alter und weitere Kriterien als besonders risikoreich gelten. Zwischen 1991 und 1997 wurden an den Reaktoren 5 und 6 verschiedene Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit durchgeführt. Westeuropäische Sicherheitsstandards konnten dadurch aber nicht erreicht werden. Die Wahl für einen zweiten Standort fiel auf Belene (ebenfalls an der Donau an der rumänischen Grenze gelegen), obwohl hier eine hohe Erdbebengefährdung besteht. Hier sollten vier bis sechs große Reaktorblöcke gebaut werden. 1980 wurde mit den vorbereitenden Bauarbeiten, 1987 mit den Arbeiten für den ersten 1000 MW Reaktor (Typ Temelin) begonnen. Die Arbeiten wurden (vor allem aus Geldmangel) 1991 wieder eingestellt, aber 2005 beschloss die bulgarische Regierung den Bau von zwei Reaktoren mit einer Leistung von je 1000 MW. Der Bau soll offiziell die Abschaltung der Reaktoren in Kosloduj kompensieren und einer möglichen Energieversorgungslücke vorbeugen.

Angaben der Regierung zufolge liegt der Fertigstellungsgrad der bereits begonnen Reaktorblöcke bei etwa 40 %. Dies ist aber zweifelhaft: Fotoaufnahmen zeigen, dass bisher lediglich der Unterbau zweier Blocks und einige Wände von Block 1 und 2 stehen. Die sicherheitsrelevante Ausstattung fehlt zur Gänze oder ist völlig überaltert. Es wurde beschlossen, nicht in der ehemals geplanten veralteten Variante mit einem WWER-1000/320 zu bauen, sondern in der Weiterentwicklung als AES-92. Im Oktober 2006 wurde die russische Staatsfirma Atomstroiexport als Reaktorlieferant ausgewählt. Wesentliche Komponenten kommen von Siemens (Deutschland) und Areva (Frankreich/Deutschland). Die Kosten des Projekts werden auf US$ 4 Milliarden Dollar geschätzt. Ab 2007 wurde eine Ausschreibung für den Betrieb der Anlage durchgeführt. Beworben haben sich unter anderem Suez's Electrabel, Enel, RWE, E.ON und CEZ. Im Oktober 2008 erhielt RWE den Zuschlag, stieg jedoch im Herbst 2009 nach Protesten von Umweltschutzorganisationen und internen Differenzen aus dem Projekt aus. Im März 2012 wurde das Projekt nach Vorkosten von über € 700 Mio. eingestellt – mehrere Versuche das Projekt wieder zu starten scheiterten bisher.

Atommüll

Abgebrannte Brennstäbe werden zuerst in ein Zwischenlager direkt am AKW Standort Kosloduj gelagert, wo sich auch ein Zwischenlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle befindet. Dieses wird derzeit für rund € 49 Millionen Euro ausgebaut. 2002 wurde ein Abkommen mit Russland geschlossen, in dem ein Preis von US$ 620.000 pro Tonne abgebrannter Brennstäbe festgelegt wurde, den Bulgarien an Russland für die Abnahme des Atommülls zahlt. Zielort sei Mayak (Russland), ein Teil allerdings wurde auch nach Zheleznogorsk (Russland) in der Nähe von Krasnoyarsk gebracht. Mayak steht für Katastrophen, Unfälle und atomare Verseuchung: dort fand der drittgrößte Atomunfall der Geschichte statt (nach Tschernobyl und Fukushima) statt. Durch Schlampereien und fahrlässigen, menschenverachtenden Umgang mit radioaktiven Substanzen sind in Mayak auch nach offiziellen Angaben mehr als 250.000 Menschen gefährdet. Die Krebserkrankungen haben massiv zugenommen.

Anti-Atom-Proteste

In Bulgarien kam es 1986 nach dem Super-GAU in Tschernobyl zu Protesten gegen die maroden AKWs aus der sowjetischen Reaktor-Baureihe. Später waren es vor allem die massiven Proteste von BewohnerInnen der nahegelegenen Stadt Svishotov und von Umweltschutzgruppen, die den Weiterbau des AKW Belene zunächst stoppten. Die dahinterstehenden Interessen illustriert auch eine Todesdrohung, die eine bekannte und mit Umweltpreisen bedachte Aktivistin im Jahre 2003 persönlich überbracht bekam.

Rund um den Bau des AKW Belene nahmen die Proteste national und international stark zu: Umweltorganisationen wiesen mit Nachdruck darauf hin, dass der Standort in einem Erdbebengebiet liegt. Nur zwölf Kilometer vom geplanten Kraftwerk entfernt ereignete sich im Jahre 1977 das letzte große Erdbeben, bei dem 120 Menschen starben. Die deutsche Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover rechnet in der Region weiterhin mit starken Erdbeben von 7,5 bis 8,5 auf der Richterskala. So wurde am Abend des 25. April 2009 die Region um das geplante Atomkraftwerk Belene von einem Erdbeben in Höhe von 5,3 auf der Richterskala heimgesucht. 

Nach beachtlichem öffentlichen Druck auf RWE zog sich das Unternehmen im Herbst 2009 aus der Projektgesellschaft zurück. Zwölf internationale Banken, darunter die Deutsche Bank, die Commerzbank und die HypoVereinsbank haben aufgrund von öffentlichem Druck bereits von einer Finanzierung des Projektes Belene Abstand genommen. Dr. Georgi Kastschiew war von 1989 bis 1994 Leiter der bulgarischen Atomenergieaufsicht. Zuvor war er einer der führenden Manager des einzigen bulgarischen Atomkraftwerks in Kosloduj. Er mahnt vor allem vor gravierenden Problemen des Reaktordesigns und einem Mangel an qualifizierten Facharbeitern für große Bauprojekte in Bulgarien. Das bulgarische Parlament stoppte das Projekt nach längerem Hin und Her im Februar 2013 endültig.

Der Anteil an Atomenergie am Gesamtstrom beträgt 32,5 %.

Standort Kosloduj

Blocknr Typ Nettoleistung Inbetriebnahme
Block 1 Druckwasserreaktor
WWER-440/230
408 MW 10/1974 - 12/2002
stillgelegt
Block 2 Druckwasserreaktor
WWER-440/230
408 MW 11/1975 - 12/2002
stillgelegt
Block 3 Druckwasserreaktor
WWER-440/213
408 MW 01/1981 - 12/2006
stillgelegt
Block 4 Druckwasserreaktor
WWER-440/230
408 MW 06/1982 - 12/2006
stillgelegt
Block 5 Druckwasserreaktor
WWER-1000/320
953 MW 12/1988
Block 6 Druckwasserreaktor
WWER-1000/320
953 MW 12/1993

Alle Blöcke: Hochrisikoreaktor, älter als 30 Jahre 

Störfälle (Auswahl):

  • 2003: Block 3: - in Volllastbetrieb reißt eine Schweißnaht des Primärkreislaufes von Block 3, radioaktiv verseuchtes Wasser des Primärkreislaufes tritt aus, die Notkühlung funktioniert glücklicherweise.
  • 2006: Block 5: 22 der 60 Steuerelemente bleiben beim Herunterfahren hängen (weil das Design der Steuerstäbe durch die Fa. Gidropress geändert wurde), Abschaltung mittels Borsäure, es hätte zur Kernschmelze kommen können. Der Störfall wird erst zwei Monate später bekannt, der Kraftwerksmanager entlassen.
  • 2010: Block 6: drei Sicherheitsröhren im Steuerungssystem sind beschädigt und müssen ausgetauscht werden.
  • 2011: Block 5: Risse werden bei Revisionsarbeiten an den Schutzhüllen von 37 der 61 Steuerstäbe entdeckt.
  • 2012: Block 6: Betriebsausfall im elektronischen Steuersystem des Turbogenerators. Als die Bedienmannschaft manuell steuern will, kommt es zur automatischen Notabschaltung.
  • 2013 stellt die IAEA nach einem Kontrollbesuch gravierende Sicherheitsmängel fest, so fehlen Richtlinien für den Umgang mit schweren Unfällen wie einem offenen Reaktor oder Abklingbecken

Standort Belene

Blocknr Typ Nettoleistung Inbetriebnahme
Block 1 Druckwasserreaktor
WWER-1000/466
953 MW In Bau 1987-1990;
Projekt 2012 aufgegeben
Block 2 Druckwasserreaktor
WWER-1000/466
953 MW In Bau 1987-1990;
Projekt 2012 aufgegeben