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Die Atomkatastrophe von Fukushima
Am 11. März 2011 kam es nach einem schweren Erdbeben mit anschließendem Tsunami im japanischen Atomkraftwerk Fukushima zu einem der schwersten Atomunfälle der Geschichte. In vier von sechs Atomreaktoren kam es zur Kernschmelze und damit zum Super-GAU. Große Mengen an Radioaktivität wurden frei gesetzt und kontaminierten Luft, Boden und den Pazifik schwer. Über 170.000 Menschen wurden evakuiert. Die Atomkatastrophe von Fukushima zeigt erneut, dass Atomkraft nicht sicher ist. So hat die Katastrophe ihren Lauf genommen und das sind die Auswirkungen bis heute.
Nach dem starken Erdbeben am 11. März 2011 um 14:46 Uhr und dem Auftreffen des von ihm ausgelösten Tsunami um 15:35 Uhr kam es zur Unterbrechung der externen Stromzufuhr im AKW Fukushima Daiichi und damit zum Ausfall der Kühlung der Reaktoren und Abklingbecken. Die Folge war eine unaufhaltsam fortschreitenden Nuklearkatastrophe. Die Freisetzung von radioaktiven Stoffen erfolgte durch gezielte Druckentlastungen, unkontrolliertes Austreten von radioaktivem Wasserdampf, Brände, Explosionen und durch das Auslaufen und Versickern von hunderttausenden Litern kontaminiertem Wasser. Anders als bei der Tschernobylkatastropheexternal link, opens in a new tab 25 Jahre davor handelte es sich um vier parallele Super-GAUs und eine noch nicht abzusehende Freisetzungsdauer.
Chronologie der Katastrophe von Fukushima
12. März - Tag 2
Reaktor 1: Direkt nach dem Erdbeben treten radioaktive Gase (Xenon) aus - der Reaktor ist undicht. Innerhalb weniger Stunden fallen die Brennelemente durch den Ausfall der Kühlung und das Verdampfen des Kühlwassers trocken und schmelzen vollständig. Der geschmolzene Kernbrennstoff sammelt sich zunächst am Boden des Reaktordruckbehälters, der mehrere Löcher bekommt und durch schmilzt. Durch das verdampfende Wasser entstehen Wasserstoff und Sauerstoff, das volatile Gemisch reagiert mit dem Zirkonium der Brennelementhüllen. Am 12. März um 15:25 Uhr zerreißt eine Wasserstoffexplosion die Gebäudehülle. In der Folge werden bis zu 8.000 Liter Kühlwasser pro Stunde in den Reaktor gepumpt, das Wasser verdampft aber oder läuft aus dem Containment in den Keller.
14. März - Tag 4
Reaktor 3: Auch in diesem Reaktor kommt es infolge des Ausfalls der Kühlung innerhalb kurzer Zeit zur vollständigen Kernschmelze. Eine gewaltige Explosion am 14. März um 11:01 Uhr setzt große Mengen von radioaktiven Spaltprodukten frei, die durch den Wind insbesondere in Richtung Nordwesten verteilt werden. Es gibt Hinweise darauf, dass es durch die primäre Wasserstoffexplosion zu einer teilweise nuklearen Explosion des Kernbrennstoffs im Abklingbecken gekommen ist, was die viel massivere Explosion im Vergleich zu Reaktor 1 erklärt. Die japanischen Behörden geben aber bis heute nur Teile der damaligen Radioaktivitätsmessungen frei.
15. März - Tag 5
Reaktor 2: In Reaktor 2 findet ebenfalls eine vollständige Kernschmelze statt. Um 6:10 Uhr kommt es zur Explosion und zu einem Leck im Containment, radioaktiver Dampf tritt als weiße Dampffahne an der Seite des Gebäudes aus. Wasser wird mit einer Geschwindigkeit von bis zu 10.000 Litern pro Stunde in den Reaktor gepumpt. Monate nach Beginn der Katastrophe wird klar, dass in Reaktor 1, 2 und 3 das geschmolzene Kernmaterial als Lava-Klumpen auf dem Boden des Containments liegt und mehrere Jahre nur durch große Mengen Wasser von einer neuerlichen Kernschmelze abgehalten werden konnte.
Reaktor 4: Reaktor 4 ist zum Zeitpunkt des Erdbebens für Revisionsarbeiten abgeschaltet. Hier kommt es jedoch mangels Kühlung der 1.331 abgebrannten Brennelemente im Abklingbecken zum Verdampfen des Kühlwassers und zu einer Wasserstoffexplosion um 6:12 Uhr, die das Gebäude zerreißt und das Abklingbecken leck schlägt. Bis zu 210.000 Liter Wasser werden täglich auf das jetzt unter freiem Himmel liegende Abklingbecken gespritzt, die verdampfen oder versickern. Mittlerweile wurde das Reaktorgebäude durch eine Überstruktur stabilisiert, bis Dezember 2014 können alle Brennelemente geborgen und in das zentrale Zwischenlager überführt werden – ein großer Erfolg der Aufräumarbeiten.
16. März - Tag 6
Es wird zunächst versucht, mit Hubschraubern Kühlwasser auf die zerstörten Reaktoren abzuwerfen, was aber - wie schon bei den Versuchen nach der Tschernobylkatastrophe, den Brand von Hubschraubern aus zu löschen - fehlschlägt. Danach spritzen Wasserwerfer der Armee und Feuerwehr Wasser in Richtung der Reaktoren. Später werden mehrere Betonpumpen mit Schläuchen verbunden, die zunächst Meerwasser, später Süßwasser von oben auf die freiliegenden, kochenden Abklingbecken sprühen, um das Schmelzen der abgebrannten, aber noch heißen Brennelemente zu verhindern.
2. April - Tag 23
Reaktor 2: Jetzt wird bemerkt, dass hoch radioaktives Wasser aus dem Reaktor unkontrolliert durch einen Kabelschacht ins Meer läuft. Das Wasser hat eine Dosisleistung von 1000 mSv/h: bereits in einer Stunde würde bei einem Menschen, der sich in der Nähe aufhält (also noch nicht einmal mit dem Wasser in Kontakt kommt, geschweige denn es trinkt) die gefürchtete Strahlenkrankheit eintreten. Erst am 6. April kann nach mehreren vergeblichen Versuchen dieses Leck gestopft werden, aber auch danach tritt durch mehrere Lecks immer wieder radioaktives Wasser aus und läuft in den Pazifik.
4. April - Tag 25
Um Platz für hoch radioaktives Wasser zu schaffen, das durch die undichten Reaktoren und die Besprühung der Abklingbecken in die Turbinenhallen und Keller der Gebäude gelaufen ist, beginnt Tepco, 11.500.000 Liter Wasser mit einer Radioaktivität von 150 Milliarden Becquerel aus einem zentralen Wasseraufbereitungstank direkt ins Meer abzulassen. Nachbarstaaten wie Südkorea und China protestieren gegen diese Verzweiflungstat, die das Platzproblem nur für kurze Zeit und nur für kleine Teile des hochradioaktiven Wassers lösen kann.
17. April - Tag 38
Ferngesteuerte Roboter werden in Reaktor 1 geschickt, die am 26. April Radioaktivitätswerte von bis zu 1120 mSv/h messen (Grenzwert deutscher AKW-Arbeiter: 20 mSv/Jahr, die Jahresdosis wäre also nach einer Minute erreicht). Ende April betreten Arbeiter erstmals das zerstörte Reaktorgebäude und versuchen, mit Luftfiltern die Radioaktivität im Gebäude zu senken. Nach der Überprüfung der Kontrollinstrumente wird die völlige Kernschmelze sowie das Lecken des Containments bemerkt und die Versuche aufgegeben, den Reaktor zu fluten.
Freigesetzte Radioaktivität durch den Atomunfall
Messungen der Atomwaffensperrvertrags-Stellen zeigten in den ersten sechs Wochen der Katastrophe 42 % der gesamten Cäsium-Freisetzung durch die Tschernobylkatastrophe - und die höchste zivile Freisetzung des radioaktiven Edelgases Xenon.
Nach den Explosionen wird neben Iod und Cäsium radioaktives Strontium bis zu 250 km und Plutonium bis zu 45 km entfernt vom AKW gemessen. Die Radioaktivitätswerte auf dem Gelände konnten durch das Einsammeln der hoch radioaktiven Trümmer gesenkt werden. Am Abluftkamin zwischen Reaktor 1 und 2 werden aber immer noch Werte von 10 000 mSv/h gemessen und die hoch radioaktiven Trümmerteile werden provisorisch in einem riesigen Zelt auf dem Gelände gelagert.
Lokale Verteilung der Radioaktivität
Je nach Windrichtung wurde radioaktives Material zuerst in Richtung Pazifik verteilt, nach der Explosion von Reaktor 3 aber auch in Richtung Nordwesten, wo sich besonders hohe Strahlenwerte im Boden auch außerhalb der 30 km-Zone finden. Weite Teile Japans wurden durch radioaktives Cäsium für 300 Jahre (10 Halbwertszeiten Cäsium) verseucht, der Nordosten des Landes besonders stark. Teile des Gebiets werden dauerhaft unbewohnbar und für die Landwirtschaft nicht nutzbar bleiben.
Weltweite Verteilung der Radioaktivität
Nach wenigen Tagen konnten die Auswirkungen der Atomkatastrophe in Fukushima weltweit gemessen werden, wenn auch in extrem starker Verdünnung: Die Messstellen der Atomwaffensperrvertrags-Sonden registrierten radioaktives Iod und Cäsium in der Atmosphäre.
Insbesondere die Einleitung von mittel- und hoch radioaktiv belastetem Wasser und das unkontrollierte Eintreten von Grundwasser in den Pazifik führte bereits zu messbarer Belastung von Meeresorganismen: Sandaale vor der betroffenen Küste wurden für den Fischfang gesperrt, die radioaktiven Partikel verteilen sich aber auch durch die Meeresströmung nach Nordosten und werden von Algen, Muscheln, Fischen und Krebsen aufgenommen und gelangen damit in die Nahrungskette.
Verstrahlung nach Fukushima
Die Umgebung des AKW ist massiv verstrahlt - die Karte zeigt die kumulierte Belastung, wo der Maximalwert von 1 Millisievert pro Jahr (mSv/a) etwa im Ort Namie bis Februar 2015 um das 427-fache überschritten wurde.
600 km² um die havarierten Atomkraftwerke wurden über 600 kBq /m² verseucht - dies war der Grenzwert für eine permanente Absiedlung durch die russischen Behörden um das AKW Tschernobyl. Die japanische Regierung lässt die obere Erdschicht auf 5 cm Tiefe abtragen, um die Strahlenbelastung auf maximal 1 mSv/a zu senken. Da dies auf einer Fläche von 2000 km² erfolgen muss, werden 100 Millionen Kubikmeter radioaktiver Erde abgetragen — ein 16 Quadratkilometer großes Zwischenlager soll diese vorerst aufnehmen.
Evakuierung
Bereits an Tag 2 der Katastrophe wurden alle Menschen aus einem 20 km-Radius um das AKW evakuiert, an Tag 5 wurde angeordnet, dass sich die Bewohner:innen innerhalb des 30 km-Radius in geschlossenen Räumen aufhalten sollen, am 25. März wurde schließlich die freiwillige Evakuierung auch dieser Gebiete angeordnet.
Alle Menschen, die in diesen Gebieten ausgeharrt haben, wurden einer teils massiven zusätzlichen Strahlenbelastung ausgesetzt. Teilweise wurden Menschen genau in Richtung des radioaktiven Fallouts im Nord-Westen evakuiert und unter freiem Himmel verpflegt.
Rund 164.000 Menschen wurden aus den Gebieten um die zerstörten Reaktoren evakuiert. Einige von ihnen konnten bei Verwandten, Bekannten oder in Hotels untergebracht werden, ein Großteil war jedoch mehrere Monate in großen Sport- und Ausstellungshallen untergebracht, wo sie notdürftig mit Kartonwänden abgeteilt auf Familien auf dem Boden hausten und schliefen. Danach wurden für die evakuierten Menschen 72.000 Container-Wohneinheiten errichtet.
Folgen, Krankheiten, Todesfälle
Im Vergleich zu den Todesfällen durch die Naturkatastrophe (Erdbeben und Tsunami) sind die direkten Krankheits- und Todesfälle durch die menschengemachten Atomkatastrophen in Fukushima bisher sehr gering: Bei der Explosion von Reaktor 1 wurden vier Arbeiter, bei der von Reaktor 3 nochmals elf Arbeiter verletzt, ein Aufräumarbeiter starb an Kreislaufversagen. Von den getesteten Arbeitern wurden fast 2.000 mit einer Strahlendosis über 100 mSv verstrahlt – ab diesem Wert sind direkte Strahlenschäden nachweisbar. Sechs Arbeiter wurden mit über 309 mSv bis 678 mSv belastet.
Die Informationspolitik von Tepco und den japanischen Behörden gleicht stark der sowjetischen Informationspolitik nach der Tschernobylkatastrophe. Daher muss mit immer neuen Daten und höheren Todeszahlen gerechnet werden, die erst nach und nach bekannt gegeben werden. Ein Anstieg der Schilddrüsenerkrankungen bei Kindern kann bereits 2016 festgestellt werden.