Lederindustrie Indien: Ausbeutung für Europas Schuhe
Umweltverschmutzung und Arbeitsrechtsverletzungen in der Schuh- und Lederproduktion Indiens
Die Lederproduktion stellt in Indien einen der arbeitsintensivsten Sektoren des Landes dar und beschäftigt 2,5 Mio. Menschen. Indien ist der viertgrößte Lederwarenexporteur weltweit. Die wichtigsten Exportländer sind die USA, Deutschland, Italien, Spanien, Frankreich, Hong Kong, die Vereinigten Arabischen Emirate, China, die Niederlande und Belgien. Exportiert werden vor allem fertige Lederwaren wie Schuhe und Schuhteile, Lederartikel und Lederbekleidung.
Nach China ist Indien das Land mit der weltweit zweitgrößten Schuhproduktion – allein im Jahr 2015 produzierte das Land über 2,2 Mrd. Paar Schuhe. Dabei sind Lederschuhe bei weitem das bedeutendste Produkt, sowohl in der Produktion als auch im Export. Die meisten Exporte gehen nach Europa.
Die Lederindustrie in Indien ist für ihre schlechten Arbeitsbedingungen sowie für niedrige Umweltstandards bekannt. Veraltete Technologien, missachtete Sicherheitsnormen, giftige Abwässer, unsachgemäß entsorgte Abfälle sowie Gesundheitsrisiken, denen ArbeiterInnen und die lokale Bevölkerung ausgesetzt sind, stellen die größten Probleme der indischen Lederindustrie dar.
Gerbereien
Die Verarbeitung von Tierhäuten zu Leder findet in Gerbereien statt, davon gibt es in Indien etwa 2.000, meist Kleinbetriebe. Als erstes werden die Rohhaut der Tiere konserviert um ihrer Verwesung vorzubeugen, anschließend werden sie enthaart und entfleischt. Danach wird die Haut mit pflanzlichen Extrakten oder Chemikalien behandelt. Dabei ist die Chromgerbung das am häufigsten angewandte Gerbverfahren. Innerhalb weniger Stunden kann mit dieser Methode fertiges Leder erzeugt werden, während das Gerben mit Pflanzenextrakten mehrere Tage in Anspruch nimmt.
Verheerende Umweltauswirkungen
Beim Gerbprozess fallen jedoch große Mengen Abwässer und Abfälle an. So sind für die Verarbeitung von 1.000 kg Rohhäuten 500 kg chemische Substanzen nötig, etwa 600 kg Feststoffabfälle und 15 bis 50 m3 Abwässer müssen anschließend entsorgt werden. Da der Gerbprozess viel Wasser benötigt, werden die Grundwasservorräte in einem bedrohlichen Maße aufgebraucht. Die Abwässer werden oft nicht oder nur unzureichend geklärt, wodurch Flüsse stark verunreinigt werden – und damit auch das Grundwasser. Bei unsachgemäßer Entsorgung von Feststoffabfällen im Freien kann giftiges Chrom VI außerdem in den Boden gelangen. Toxischer Schlamm und Abwässer können das Pflanzenwachstum hemmen und daher die Lebensgrundlage der Bevölkerung, die in der Nähe von Gerbereien lebt, gefährden. Wenn Böden und Gewässer mit sechswertigem Chrom verschmutzt sind, birgt dies große Gefahren für die Gesundheit der ansässigen Bevölkerung.
Wir waren vor Ort und haben uns die Situation in Kanpur und Agra genauer angesehen und Boden- sowie Wasserproben entnommen.
In Kanpur wird das aufbereitete Abwasser der Gerbereien mit anderen geklärten Abwässern vermischt und für die Bewässerung von 2.500 Hektar Ackerland verwendet. Ähnlich wird in anderen Gerbereizentren verfahren, so auch in Agra. Unsere Wasseranalyse zeigt, dass das verwendete Wasser eine Chromkonzentration über dem von der FAO empfohlenen Maximalwert von 100 µg/l aufweist. Im Dorf Khan Chandpur war die Situation alarmierend: Das im Wasser enthaltene Chrom VI überschritt den Schwellenwert um das 100-fache. Das Wasser wurde hauptsächlich zur Bewässerung und als Trinkwasser für Tiere verwendet.
Im Rahmen von Interviews berichtete die lokale Bevölkerung, dass die angebauten Nutzpflanzen in den Dörfern nahe Jajmau immer weniger Ertrag liefern würden. Die Gründe dafür könnten in der Kontaminierung mit Chrom liegen oder im überhöhten Salzgehalt der Böden. Über 400 km2 des bewässerten Landes fallen in den Gerbereigebieten pro Jahr der Bodenversalzung zum Opfer. AnwohnerInnen und Landwirte, mit denen wir sprachen, erzählten uns, dass auf den Anbauflächen kein Getreide und keine Blumen mehr wachsen – sie verkümmerten einfach. Nur jene Felder, die ausschließlich mit Regenwasser bewässert werden, liefern weiterhin Erträge. Die Baumbestände der Region sowie Rosenplantagen sind verschwunden. Die Nutztiere trinken das verschmutzte Wasser und leiden ebenfalls darunter. Frühgeburten, eine höhere Sterblichkeitsrate und Milch von schlechterer Qualität sind die Folgen. Darüber hinaus berichten Fischer der Region über große Mengen toter Fische im Ganges an jenen Stellen, wo das verschmutzte Abwasser der Gerbereien in den Fluss geleitet wird.
Ein anderes Abfallprodukt der Chromgerbung sind Chromerz-Verarbeitungsrückstände (COPR), das in Indien oft im Freien illegal deponiert wird. In einem Dorf nahe Kanpur werden auf einer Fläche von etwa einem Quadratkilometer ca. 30.000–40.000 Tonnen dieses höchst giftigen Abfalls abgelagert. Durch das Versickern der Giftstoffe werden Böden und Grundwasser im Umfeld der Lagerstätte verunreinigt. Unsere Bodenproben bestätigen die katastrophale Situation in der Gegend. Der toxische Abfall ist seit mehr als zehn Jahren auf diesem Gebiet deponiert. Er enthält noch immer extrem hohe Chromkonzentrationen und stellt deshalb eine ernste, langfristige Gefahr für die Wasserreserven der Umgebung und für die Menschen dar, die das Wasser im Alltag und für die Landwirtschaft verwenden.
Im einem Dorf etwa zwei Kilometer von der Lagerstätte entfernt, entnahm unser Forschungsteam eine Wasserprobe aus einem kontaminierten Brunnen, in der ein Chromgehalt von 13.295 μg/l gemessen wurde, was den WHO-Grenzwert um das 200-fache überschreitet. Die hohe Chromkonzentration verdeutlicht das Ausmaß der Grundwasserverseuchung in der Region. Das ist besonders alarmierend, da die lokale Bevölkerung das Grundwasser nicht nur zur Wasserversorgung ihrer Nutztiere und zur Bewässerung ihrer Felder verwendet, sondern bei Wasserknappheit auch als Trinkwasser. Wird das Wasser über einen längeren Zeitraum getrunken, kann es ein schwerwiegendes Gesundheitsrisiko für Mensch und Tier darstellen. Etwa 15.000 Menschen sind in dieser Region von der Verseuchung des Grundwassers mit Chrom betroffen.
Obwohl die indischen Umweltschutzgesetze für die Lederindustrie genauso streng sind wie anderswo, halten sich die Betriebe nicht daran, da die Regierung die Gesetze nicht durchsetzt.
Prekäre Arbeitsbedingungen
Aber nicht nur die Umweltauswirkungen der Lederindustrie sind verheerend, auch die Arbeitersbedingungen lassen zu wünschen übrig. Wir haben mit GerbereiarbeiterInnen in Nord- und Südindien gesprochen. Niedrige Löhne, ungeregelte Arbeitsverhältnisse, keine Angestelltenversicherung und Mitarbeitervorsorgekasse sowie lange Arbeitszeiten gehören zu den Hauptproblemen.
ArbeiterInnen im Ledersektor, besonders jene in Gerbereien, werden oft unter dem gesetzlichen Mindestlohn bezahlt (der je nach Bundesstaat zwischen 50 und 100 EUR/Monat liegt). Die meisten ArbeiterInnen in den Gerbereien erhalten einen Stücklohn, damit ist das Einkommen direkt an ihre Produktivität gekoppelt. Die Beschäftigungsverhältnisse sind großteils nur temporär, ohne vertragliche Grundlage und ohne Aussichten auf eine Festanstellung. Obwohl das indische Arbeitsvertragsgesetz vorsieht, dass der Arbeitgeber Dokumente ausstellt, besaß niemand der Befragten einen Beschäftigungsnachweis. Anrecht auf bezahlten Urlaub gibt es nicht. Die ArbeiterInnen berichteten von arbeitsbedingten Krankheiten, wie Fieber, Muskel- und Gelenksschmerzen, Hautkrankheiten, Atemwegsproblemen und Augenreizungen - direkte Folgen der fehlenden Schutzausrüstung. Niemand hatte eine Sicherheitsschulung für den Umgang mit Chemikalien oder eine Einweisung in die Maschinenbedienung erhalten.
Gewerkschaften gab es in keiner der untersuchten Gerbereien. In den Lederindustriezentren, z.B. Raipet oder Chrompet in Südindien, sind viele BinnenmigrantInnen beschäftigt. Die Arbeitsbedingungen dieser MigrantInnen, die üblicherweise auf dem Gerbereigelände untergebracht sind, sind noch prekärer. Darüber hinaus leiden die ArbeiterInnen unter gesellschaftlicher Stigmatisierung, da in Indien traditionellerweise nur die sozial besonders ausgegrentzen Kasten sowie Muslime im Ledersektor tätig sind.
Ähnlich geht es den ArbeiterInnen in der indischen Schuhindustrie. Unsere Studie "Auf der Stelle (ge)treten" deckt auf, dass ArbeiterInnen, die Schuhe für den europäischen Markt fertigen, mit menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen konfrontiert sind. Wir haben Beschäftigte mehrerer Schuh- und Lederfabriken in Ambur in Südindien und Agra in Nordindien befragt. Trotz der weitreichenden Arbeitsgesetzgebung nehmen die prekären Arbeitsverhältnisse in Indien zu. Die Daten der letzten 25 Jahre zeigen, dass die Löhne kaum mit der Inflation mithalten konnten. Die Erzählungen der Arbeiterinnen und Arbeiter zeichnen ein erschreckendes Bild des Arbeitsalltags in der indischen Schuh- und Lederproduktion. Die Befragten berichten von Löhnen weit unter dem Existenzminimum, von erzwungenen Überstunden, unzureichendem Schutz vor Gesundheits- und Sicherheitsrisiken, Verbot von Gewerkschaften und Diskriminierung aufgrund von Geschlechts- oder Kastenzugehörigkeit.
Kamakshi, Beschäftigte in einer Schuhfabriken in Ambur, Indien, erzählt im Interview: "Durch das Arbeiten im Stehen leiden viele von uns an Arthritis und Gelenkschmerzen. Der Gestank des Leders und der Chemikalien in der Fabrik macht uns oft benommen und appetitlos, selbst nach einem langen Arbeitstag. Arbeitsunfälle sind keine Seltenheit. Möglichkeiten sich zu beschweren, gibt es nicht."
Unternehmen müssen Verantwortung übernehmen
Die Ergebnisse unserer Untersuchungen zeigen deutlich, dass der Ledersektor große Umweltschäden anrichtet sowie die Gesundheit der ArbeiterInnen und lokalen Bevölkerung erheblich gefährdet. Internationale Schuhmarken, die aus Indien gegerbtes Leder beziehen, sollten daher folgende Maßnahmen ergreifen:
- Unternehmen sollten über ihre Bemühungen, die Anwendung alternativer Gerbverfahren zu unterstützen, Bericht erstatten. Wenn sie chromgegerbtes Leder verwenden, müssen die Unternehmen sicherstellen, dass dabei modernste Technologien zum Einsatz kommen.
- Sie müssen Verantwortung für die Gesundheits- und Sicherheitsrisiken übernehmen, denen ArbeiterInnen an ihren Arbeitsplätzen ausgesetzt sind. Das gilt ebenso für Umweltschäden.
- Sie sollten einer Multi-Stakeholder-Initiative beitreten, bestehend aus Unternehmen, Gewerkschaften, NGOs und lokalen Organisationen, die zum Ziel hat, konkrete Verbesserungen der Arbeitsbedingungen in der Lederindustrie voranzubringen.
- In Übereinstimmung mit den UN-Leitprinzipien müssen die Unternehmen in der Leder- und Schuhindustrie eine Sorgfaltspflichtenregelung einführen, mit der sie die Risiken im Menschenrechtsbereich entlang ihrer gesamten Lieferketten analysieren und Menschenrechtsverstöße bekämpfen. Dies umfasst auch die Abbildung und verbesserte Transparenz ihrer Zulieferketten. Darüber hinaus sollten sie langfristige Geschäftsbeziehungen aufbauen und mit anderen Unternehmen zusammenarbeiten, um gewährleisten zu können, dass die Sorgfaltspflicht auch bei ihren Zulieferbetrieben eingehalten wird. Dazu gehören die Einführung von Beschwerdemechanismen auf Unternehmensebene und Kollektivverhandlungen. Gewerkschaften und die Zivilgesellschaft müssen in die Umsetzung der Sorgfaltspflicht auf Augenhöhe involviert werden.
- Nur wenn sich alle Interessensgruppen – einschließlich der indischen Regierung, der EU, internationaler Schuhmarken, indischer Behörden und Ledergerbereien – aktiv einsetzen, können die Arbeits- und Umweltbedingungen in der Lederindustrie wirksam verbessert werden. Es muss sichergestellt werden, dass die enormen Profite der Industrie nicht auf Kosten der ArbeiterInnen und AnwohnerInnen am kaum sichtbaren Anfang der Lieferkette gehen.
Worauf KonsumentInnen achten können
Österreichisches Umweltzeichen für Schuhe
Als KonsumentIn empfehlen wir auf das Österreichische Umweltzeichen zu achten. Das Gütesiegel fordert die Bezahlung von Existenzlöhnen und verbietet die Verwendung von chrom-gegerbtem Leder. Die Kriterien folgen einem ganzheitlichen Ansatz von der Herkunft der Ausgangsmaterialien bis hin zur Endfertigung.
Diese Seite wurde von der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit und der Europäischen Union gefördert. Die vertretenen Standpunkte geben die Ansicht der Clean Clothes Kampagne und GLOBAL 2000 wieder und stellen somit in keiner Weise die offizielle Meinung der Fördergeber dar.