01.02.2017

Schuh- und Lederproduktion in Europa

Wer denkt die Arbeitsbedingungen in der europäischen Lederproduktion seien besser als beispielsweise in Indien, der täuscht sich gewaltig. ArbeiterInnen der Schuh- und Lederindustrie in Mittel- und Südosteuropa verdienen oft weniger als in China. Das zeigten unsere Studien im Rahmen der internationalen Initiative „Change your Shoes“.

Über 24 Milliarden Paar Schuhe wurden 2014 weltweit hergestellt. Die ÖsterreicherInnen kauften davon im Durchschnitt pro Kopf sechs Paar. Der größte Teil wird in Asien produziert, doch gerade bei hochpreisigen Lederschuhen ist auch der europäische Anteil bedeutend.

Herkunftsländer von europäischen Schuhen

GLOBAL 2000

Schuhe „Made in Europe“

Rund 120.000 Menschen sind in den Ländern Albanien, Bosnien-Herzegowina, Polen, Rumänien, Slowakei und Mazedonien in der Schuhindustrie beschäftigt. Die arbeitsintensivsten Schritte der Schuhproduktion werden oft in mittel- und südosteuropäischen Ländern durchgeführt. Der Bericht „Labour on a Shoestring“ zeigt die Realität in den Schuhfabriken von sechs europäischen Ländern. Hauptproblem sind die viel zu niedrigen Löhne. Der gesetzliche Mindestlohn in Albanien, Mazedonien oder Rumänien liegt mit 140 Euro, 145 Euro und 156 Euro pro Monat sogar noch unter dem von China. Die Löhne müssten vier bis fünf Mal höher sein, damit Albanerinnen, Mazedonierinnen oder Rumäninnen – die Beschäftigten in Schuhfabriken sind vorwiegend Frauen – und ihre Familien davon leben könnten.

Vergleich gesetz. Mindestlohn und niedrigster tatsächlicher Lohn

GLOBAL 2000

Weil viele Arbeiterinnen pro Stück statt pro Arbeitsstunde bezahlt werden, leisten sie zudem unbezahlte Überstunden oder verzichten aus Produktivitätsgründen auf Sicherheitsmaßnahmen, die sie vor Chemikalien und Unfällen schützen würden. In vielen Fabriken ist es im Winter sehr kalt und im Sommer so heiß, dass immer wieder Arbeiterinnen kollabieren. Eine Familie zu gründen scheint für viele ArbeiterInnen nicht finanzierbar. „Meine Frau und ich arbeiten beide in einer Schuhfabrik. Wir sind froh, dass wir eine Arbeit gefunden haben, aber mit unseren niedrigen Löhnen können wir keine Kinder großziehen“, erzählt ein rumänischer Arbeiter im Interview.

Lesen Sie hier alle Details unserer Untersuchung:

Schuh- und Lederproduktion in der Türkei

In der Studie „Hier läuft was schief… – Arbeitsbedingungen in der türkischen Schuh- und Lederindustrie“ untersuchten wir die Situation der Arbeiter in der türkischen Schuh- und Lederindustrie. Wir interviewten zahlreiche Personen, die in Gerbereien, bei Lederverarbeitungsfirmen und bei Schuhproduzenten arbeiteten.

Arbeitsrechtsverletzungen und Gesundheitsgefahren

Ihre Aussagen zeigen, dass Arbeitsrechtsverletzungen in der türkischen Schuh- und Lederproduktion weit verbreitet und strukturell bedingt sind. Die Arbeiter berichten von Löhnen unter dem existenzsichernden Niveau, unzureichendem Schutz vor Gesundheits- und Sicherheitsrisiken am Arbeitsplatz und einem extremen Anstieg von informellen Arbeitsverhältnissen. Außerdem seien überlange Arbeitstage und die Diskriminierung von Gewerkschaften festzustellen. In der Lederproduktion ist insbesondere der intensive Einsatz von Chemikalien ein großes Problem – mit massiven Auswirkungen auf die Gesundheit der Beschäftigten. Die Arbeiter in den Gerbereien und verarbeitenden Betrieben sind in dreierlei Hinsicht besonders gefährdet:

  • Erstens können Mikroorganismen, die sich auf den rohen Häuten befinden, Infektionen wie Milzbrand oder Typhus auslösen.
  • Zweitens verursachen Chemikalien, die zum Konservieren, als Lösungsmittel oder Gerbstoff verwendet werden, bei mangelndem Schutz Atemwegs-, Augen- und Hauterkrankungen bis hin zu Krebs.
  • Drittens kann die Arbeit in ständig feuchten, staubigen oder lauten Arbeitsbereichen zu rheumatischer Arthritis, Atemwegserkrankungen und Hörschäden führen.

Die Herstellung von Leder ist daher oft ein giftiges und gefährliches Geschäft. Aylin, Arbeiterin in einer Schuhfabrik in der Provinz Istanbul, berichtet: „Vor allem im Sommer, wenn es heiß ist, spüren wir die Wirkung der Chemikalien. Wir haben Husten und Übelkeit, sind schwach und können manchmal kaum das Gleichgewicht halten.“ Tarek, ebenfalls Arbeiter in einer Istanbuler Schuhfabrik, ergänzt: „Es gibt keine Gesundheits- oder Sicherheitsmaßnahmen an den Arbeitsplätzen. Ich glaube, nicht mal der Staat kümmert sich um uns. Wir würden gefeuert werden, wenn wir uns zusammenschließen und dagegen protestieren würden.“

EU ist größter Abnehmer

Der größte Abnehmer türkischer Schuhe ist die Europäische Union – allen voran Deutschland. Im Jahre 2015 importierten die EU-Staaten Schuhe im Wert von 162 Millionen US-Dollar aus der Türkei. Die türkischen Schuhunternehmen, die von einer Zollunion mit der EU profitieren, streben an, das Exportvolumen nach Europa in Zukunft massiv zu steigern.

Lesen Sie die gesamten Ergebnisse unserer Nachforschungen hier:

Lederproduktion in Italien

In der Lederherstellung ist Italien traditionell das bedeutendste Land in Europa mit 60 % Anteil des gesamten in der EU produzierten Leders. Unsere Studie gibt Einblick in die Lederherstellung in Italien.

Verheerende Arbeitsbedingungen

Nicht nur in Indien oder Bangladesch gilt es die Arbeitsbedingungen in Gerbereien zu verbessern. Unsere Studie zeigt, dass es alleine zwischen 2009 und 2013 in der italienischen Region Santa Croce 720 Arbeitsunfälle gab. Neben der Unfallgefahr gibt es in Gerbereien auch das Problem von von Berufskrankheiten, also Krankheiten, die sich mit der Zeit entwickeln, ausgelöst durch den Kontakt mit Schadstoffen, den länger andauernden Aufenthalt in einer ungesunden Umgebung oder das Ausführen schwerer Arbeit. Auch prekäre Arbeitsverträge nehmen stark zu. So sind auch Vier-Stunden-Verträge übliche Praxis geworden.

Krankheiten durch Lederproduktion

Clean Clothes Kampagne

Enorme Umweltauswirkungen

Aber nicht nur die Arbeitsbedingungen sind besorgniserregend. Die Lederherstellung stellt auch eine enorme Belastung für die Umwelt dar. Die Gerberei-Industrie benötigt nämlich extrem viel Wasser und es fallen große Mengen toxischer Abfälle an. Pro Kilogramm Leder entstehen bis zu 6,15 Kilogramm Feststoffabfälle. Die zu klärende Abwassermenge in Santa Croce entspricht der einer Stadt mit über 3 Millionen Einwohnern – die tatsächliche Bevölkerungszahl beträgt aber nur 110.000.

Umweltbelastung durch Lederproduktion

Clean Clothes Kampagne


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