Am Rio Xingu, einem der großen Zuflüsse des Amazonas, wird seit über einem halben Jahr am Mega-Staudamm Belo Monte gebaut. Ein gerichtlich verordneter vorläufiger Baustopp, von dem auch österreichische Medien berichteten, hat de facto keinerlei Auswirkungen auf die tatsächlichen Bauvorhaben. Thommy Schwaiger ist schon seit zehn Jahren in Manaus, der Hauptstadt des brasilianischen Bundestaates Amazonas, für den Naturschutz tätig. GLOBAL 2000 erzählt er, wieso es überhaupt zu dem Bau kommen konnte und welche drastischen Folgen dieser für die indigene Bevölkerung und die Natur haben würde.
GLOBAL 2000: Vor ungefähr 30 Jahren gab es bereits Pläne für Wasserkraftwerke. Wieso konnte das Projekt damals verhindert werden?
Schwaiger: Während der Militärdiktatur in Brasilien gab es Pläne für sechs Mega- Staukraftwerke entlang des Xingu. Aufgrund der weltweiten medialen Aufmerksamkeit konnte das Projekt verhindert werden. Die indigenen Völker, allen voran das berühmte Volk der Kayapó, leisteten damals starken Widerstand und bekamen Unterstützung von prominenten Personen, wie dem Sänger Sting. Zudem war Brasilien damals von ausländischen Geldgebern abhängig, die das Projekt dann nicht mehr mitfinanzieren wollten. Nach dem Ende der Militärdiktatur wurden die Rechte der Indigenen in der Verfassung garantiert und deren Territorien gesetzlich verankert.
GLOBAL 2000: Wieso kann der Staudamm heute gebaut werden?
Schwaiger: Die Regierung hat das Projekt auf ein Kraftwerk reduziert, um den Widerstand gering zu halten und ist heute reich genug, den Bau selbst zu finanzieren. Mit einer Leistung von 11400 Megawatt soll es das drittgrößte Kraftwerk der Welt werden. Zum Vergleich: Ein Donaukraftwerk hier in Wien in Freudenau hat ca. 150 Megawatt. Die Regierung meint, dass die indigenen Völker nicht direkt betroffen seien, weil ihr Gebiet nicht überflutet wird. Genau das Gegenteil ist aber der Fall. Der Flussabschnitt, der durch die Gebiete der Arara und der Juruna läuft, wird trockengelegt. Die Indianer verlieren dadurch ihren Transportweg, d.h. die einzige Möglichkeit, von ihrem Dorf in die Stadt zu kommen, um ihre Sachen zu verkaufen oder ins Spital zu kommen. Sie verlieren ihre Nahrungsgrundlage, denn diese Indianer leben zum großen Teil vom Fischfang. Wenn der Fluss kein Wasser in den Wald befördert, dann werden die Bäume absterben und damit geht auch die gesamte Tierwelt zu Grunde. Obwohl nicht überflutet wird, ist es ein Irrsinn von der Regierung zu sagen, die Indigenen seien nicht betroffen. Sie sind natürlich betroffen, weil sie durch den Bau des Kraftwerkes nicht mehr überleben können. Aber wenn die Regierung eingestehen würde, dass sie betroffen wären, würde die Verfassung greifen und dann müssten die Indianer formal in den Entscheidungsprozess mit einbezogen werden. Leider hat sich der ehemalige Kraftwerksgegner Lula als Präsident von der Baulobby „umpole“ überreden lassen und den Bau brutal durchgesetzt.
GLOBAL 2000: Wieso ist es den indigenen Völkern nicht möglich, ähnlich wie vor 30 Jahren, das Projekt durch Widerstand zu verhindern?
Schwaiger: Die direkt betroffenen indigenen Dörfer sind alleine nicht stark genug, sich zu wehren. Die Kajapó sind ein starkes und kriegerisches Volk, leben aber weit entfernt von der Baustelle am Oberlauf des Flusses. Sie würden ihren Brüdern helfen, weil ihnen ihr Fluss heilig ist. Sie haben Angst, dass nach Belo Monte auch die anderen Kraftwerke gebaut werden, so wie es im ursprünglichen Plan vor 30 Jahren stand. Das Problem dabei ist, dass es viel zu teuer wäre, die vielen hundert Leute 1200 km zur Baustelle zu transportieren. In Amazonien gibt es keinen ICE und kaum Straßen und der Fluss ist wegen mehreren Stromschnellen nicht befahrbar. Es wäre ein riesiger Aufwand die Indianer per Flugzeug und Bussen dort hin zu bringen.
GLOBAL 2000: Mit welchen Argumenten verteidigt die Regierung Brasiliens das Mega-Projekt?
Schwaiger: Die Regierung meint, dass dieses Kraftwerk notwendig ist, um den steigenden Energiebedarf in Brasilien zu decken. Sie gibt Wasserkraftwerke als grüne und erneuerbare Energie aus. Die Wahrheit ist, dass gerade in den Tropen Wasserkraftwerke extreme Klima-Killer sind, weil die Vegetation unter Wasser gesetzt und damit über Jahrzehnte Methan produziert wird. Dieses Methan gelangt dann durch das Wasser oder Turbinen in die Atmosphäre. Methan ist ein ganz extremes Treibhausgas, das wesentlich schädlicher ist, als CO2. Belo Monte wird zudem nicht gebaut, um die Haushalte mit Strom zu versorgen, sondern um Aluminium-Werke zu beliefern. Diese Aluminium- Fabriken gehören internationalen Konzernen. Die Brasilianer selber haben kaum etwas davon. Ein weiteres Problem stellt die nicht vorhandene Rechtssicherheit in Brasilien dar, sowie politisch motivierte Einflussnahme in formale Entscheidungsprozesse. Der frühere Chef der brasilianischen Umweltbehörde IBAMA weigerte sich, die Baugenehmigungen zu erteilen und wurde kurzerhand abgesetzt. Der neue Chef hat unterzeichnet.
GLOBAL 2000: Wie wirkt sich der Bau auf die Bewohner der Stadt Altamira und deren Umgebung aus?
Schwaiger: Die Einwohnerzahl wird sich mit dem Bau des Kraftwerkes verdreifachen, von 100.000 auf 300.000 Mensche innerhalb kaum eines Jahres. Die Stadt ist aber überhaupt nicht darauf vorbereitet. Es gibt keine Infrastruktur und die Verwaltung ist schlecht. Riesige soziale Konflikte sind unausweichlich, die Favellas (Slums) rund um die Stadt wachsen jetzt schon rasant an. Außerdem bedeutet der Zuzug von so vielen Menschen einen extremen Anstieg der Entwaldung rund um die Stadt, um Lebensmittel anzubauen, Rinder zu halten sowie Straßen und Wohnungen bauen zu können. Das ist einer der Hauptpunkte, warum man vom Standpunkt des Naturschutzes aus gegen dieses Kraftwerk ist. Es geht also nicht so sehr um die 500 km2 Rodung für den Staudamm, sondern um die Zerstörung des Waldes durch 200.000 Menschen, die einfach auf diese Region losgelassen werden und die machen können, was sie wollen. Wenn Belo Monte wirklich gebaut wird, dann ist das zudem nur der erste Dominostein, der umgeworfen wird und dann werden sämtliche Flüsse dicht gemacht. Laut Plänen der Regierung sollen in den kommenden 20 Jahren zwischen 70 und 100 solcher Kraftwerke gebaut werden. Und das macht Amazonien kaputt.
GLOBAL 2000: Durch welche umweltschonendere Formen der Energiegewinnung kann der steigende Bedarf in Brasilien gedeckt werden?
Schwaiger: Natürlich braucht Brasilien Energie. Es wird aber überhaupt nicht auf saubere Energie, wie Wind- oder Solarkraft gesetzt. Auch verschwendet Brasilien Energie in ungeheurem Ausmaß. Einer Studie des WWF zu Folge könnte in Brasilien allein durch Effizienzsteigerungen das 14- fache an Energie eingespart werden, als Belo Monte liefern könnte. In Brasilien hat man zwar keine Heizungen, aber überall befinden sich Klimaanlagen, die auch bei offenem Fenster laufen.
GLOBAL 2000: Siehst du eine Chance, das Projekt noch zu verhindern?
Schwaiger: Theoretisch könnte eines der vielen gerichtlichen Verfahren den Bau stoppen. Das Problem ist aber, dass die Richter nicht unabhängig von politischer Einflussnahme sind. Die andere Möglichkeit wäre eine Baustellenbesetzung, deren Organisation aber viel zu teuer ist. Die Indigenen wären die Einzigen, die genügend internationales Aufsehen erregen könnten, um die Regierung aus ethischen Gründen zum Einlenken zu bringen. Eine andere Möglichkeit wäre vielleicht, dass der ökonomische Boom zusammenbricht, aber das wird wahrscheinlich zu spät kommen. Außerdem erhoffen sich die Menschen von dem Kraftwerk Arbeitsplätze. Jene, die dagegen sind und Widerstand leisten, laufen oft Lebensgefahr, wie z.B. der in Österreich geborene Bischof Kräutler.
Weitere Infos: http://www.zeit.de/2011/39/DOS-Kraftwerkexternal link, opens in a new tab
(Von Inga Stocker)