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Regulatorische Kooperation: Wie Wirtschaftskonzerne die Gesetzgebung untergraben
Mit der Regulierungszusammenarbeit kann die Industrie Einfluss auf Gesetze nehmen, noch bevor sie in Parlamenten diskutiert und beschlossen werden. Einer Absenkung der Standards wird damit Tür und Tor geöffnet. Und schon jetzt untertraben Wirtschaftsinteressen Umweltstandards und das Vorsorgeprinzip.
Ein maßgebliches Ziel von CETAexternal link, opens in a new tab ist es Handelshemmnisse abzubauen, das betrifft sowohl Zölle als auch andere, nichttarifäre Hindernisse. Zu diesen nichttarifären Handelshemmnissen zählen unter anderem technische Standards für die Zulassung von Kraftfahrzeugen oder umweltrechtliche Vorschriften, die die Zulassung von Gentechnik, Pflanzenschutzmitteln und Bioziden regeln. Zum Abbau solcher Hemmnisse sieht CETA vor, eine regulatorische Zusammenarbeit (regulatory cooperation) zwischen der EU und Kanada zu etablieren und eine Angleichung der Gesetzgebung zu erreichen. Das heißt, CETA enthält Vorgaben über künftige staatliche Regulierungen. Zwar bleiben europäisches Recht, Verordnungen und Richtlinien zunächst unberührt. Das Kapitel zur regulatorischen Zusammenarbeit führt so aber zu einer Absenkung europäischer Umweltschutzstandards.
Wie diese regulatorische Kooperation aussehen soll, zeigt sich detailliert in Kapitel 21 des Vertrags. Die vorgesehenen Maßstäbe beziehen sich - anders als das europäische Vorsorgeprinzip - auf die Gleichberechtigung von ökonomischen Auswirkungen und Auswirkungen auf unsere Gesundheit und Umwelt.
Vorsorgeprinzip gerät unter Druck
Das Vorsorgeprinzip ist einer der wichtigsten Grundsätze des europäischen Umweltrechts und hat sogar Verfassungsrang. Umwelt- oder Gesundheitsbeeinträchtigungen dürfen danach nicht abgewartet, sondern müssen vorsorglich vermieden werden. Beim Vorsorgeprinzip geht es darum mögliche Gefahren und schädliche Wirkungen bereits zu erkennen bevor sie eintreten und schon im Vorfeld dagegen zu wirken. Maßnahmen zum Schutz der Umwelt und der Gesundheit sollen nicht erst bei konkreten Gefahren eingreifen, sondern schon im Vorfeld bei der Risikoverminderung ansetzen. Daraus folgt eine Pflicht voraus zu schauen und mögliche Umwelt- und Gesundheitsschäden erst gar nicht entstehen zu lassen. Das Vorsorgeprinzip wird auch dann angewendet, wenn die wissenschaftlichen Beweise nicht ausreichen, aber auf Grund einer objektiven Risikobewertung Anlass zur Besorgnis besteht.
Mit der regulatorischen Kooperation in CETA wird dieses Vorsorgeprinzip ausgehebelt. Belegen wissenschaftliche Erkenntnisse beispielsweise eine hormonschädigende Eigenschaft eines bestimmten Wirkstoffes, darf dieser nach gegenwärtiger europäischer Rechtslage in der EU grundsätzlich nicht in Pestiziden oder Bioziden verwendet werden. Kommt CETA werden die schädlichen Auswirkungen dagegen immer mit den (negativen) ökonomischen Auswirkungen eines Wirkstoffverbots auf den Handel abgewogen.
Da völkerrechtliche Verträge (wie TTIPexternal link, opens in a new tab und CETA) Vorrang gegenüber dem Recht der EU hat, wäre künftig EU-Recht, das Regelungen im Rahmen der regulatorischen Kooperation widerspricht, rechtswidrig und müsste geändert werden. Dasselbe gilt für nationales Recht.
Auswirkungen der regulatorischen Kooperation waren schon früh spürbar
Die Auswirkungen der regulatorischen Kooperation auf unser Vorsorgeprinzip sind keine theoretischen Gedankengebäude. Die Vorgaben in CETAexternal link, opens in a new tab und TTIPexternal link, opens in a new tab wirken schon jetzt auf die Gestaltung von Gesetzesmaßnahmen. Besonders deutlich wird dies bei der Regulierung von hormonell wirksamen Schadstoffen, sogenannten endokrinen Disruptoren (EDCs).
Bereits 1998 befasste sich das EU-Parlament mit EDCs und verlangte von der Kommission die Gesetzeslage zu verbessern. Zwei Jahre später forderten die EU-Abgeordneten die Kommission in einer Resolution dazu auf, bei endokrinen Schadstoffen das Vorsorgeprinzip anzuwenden. Mittlerweile wurden Regelungen zu EDCs in einige EU-Gesetze eingefügt, in Pestiziden und Bioziden sind die Schadstoffe seit einigen Jahren bereits verboten. Das Problem ist jedoch, dass es bisher keine einheitliche EU-Regelung darüber gibt, welche Chemikalien als hormonell wirksame Schadstoffe gelten. Es herrscht Uneinigkeit, weil hormonell wirksame Stoffe auch in natürlicher Form vorkommen und einheitlichen Merkmale nicht bestimmt werden können. Damit Verbote greifen, muss die Frage geklärt sein, ab wann ein hormonell wirkender Stoff als hormoneller Schadstoff – also als EDC - eingestuft wird. 2009 wurde die Europäische Kommission in der EU-Pestizidverordnung deshalb aufgefordert, bis Ende 2013 entsprechende Kriterien vorzulegen.
Erster Vorschlag: Vorsorgeprinzip
Die EU-Kommission ließ daraufhin zunächst eine wissenschaftliche Einschätzung von EDCs durch unabhängige Toxikologen erstellen. Die WissenschaftlerInnen empfahlen, endokrine Disruptoren nach dem gefahrenbasiertem Ansatz zu behandeln. Ein Stoff sollte als hormonell schädlich eingestuft werden, sobald er die Eigenschaft besitze, hormonell schädlich zu wirken. Die tatsächliche Belastung von Mensch und Umwelt durch den Stoff sollte keine Rolle spielen. Nur dadurch sei ein umfassender Schutz vor EDCs gewährleistet. Denn die Stoffe könnten bei Menschen, je nachdem in welchem Altersstadium sie sich befänden, schon in sehr geringen Konzentrationen irreversible Schäden verursachen. Zudem komme es bei einigen hormonell wirkenden Stoffen erst in Verbindung mit anderen derartigen Substanzen zu einer schädlichen Wirkung.
Dieser Empfehlung folgte die EU-Kommission zunächst und entwickelte einen auf dem Vorsorgeprinzip basierten Kriterienvorschlag. Wäre dieser Kriterienkatalog übernommen worden, hätten etliche Pestizide verboten werden müssen.
Einfluss von Handel und Wirtschaft
Doch dazu kam es nicht, da die Kommission ihren Kriterienvorschlag wieder zurückzog. Die Chemieindustrie beiderseits des Atlantiks und EU-Handelspartner hatten den Vorschlag massiv kritisiert. In einer E-Mail an die Kommission sprach sich etwa der Bayer-Konzern offen dagegen aus, bei der Einstufung das Vorsorgeprinzip anzuwenden. Bayer kritisierte, dass der Vorschlag „weitreichende, gravierende Auswirkungen auf die Chemiebranche und Agrarindustrie“ haben werde. Der Konzern fordert die Kommission auf, vor der Einstufung von EDCs eine Folgenabschätzung durchzuführen, in der die ökonomischen Auswirkungen berücksichtigt würden.
Kommission gibt Druck nach
Die Europäische Kommission gab dem Druck nach. Die Generalsekretärin der Europäischen Kommission schlägt vor, für die Entwicklung von EDC-Kriterien eine Folgenabschätzung in Verbindung mit einer öffentlichen Konsultation durchzuführen um die Industrie-Lobbys zufriedenzustellen.
Dieser Vorschlag verdeutlicht, wie Wirtschafts- und Handelsinteressen einen Rechtfertigungszwang auf politische EntscheidungsträgerInnen ausüben. Weder in der Biozid- noch in der Pestizidgesetzgebung ist eine Folgenabschätzung für die Entwicklung von EDC-Kriterien vorgesehen. Das bestätigte auch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Schweden hatte die Kommission verklagt, da sie ihrer Pflicht nicht nachgekommen war, bis 2013 Kriterien für EDCs vorzulegen. Der EuGH bestätigte die Klage und verurteilte Kommission wegen Verstoßes gegen die Biozid-Verordnung. Darüber hinaus stellte der EuGH ohne jede Einschränkung fest, dass die Bioizd-Verordnung eine von der Kommission durchgeführte Folgenabschätzung nicht vorsehe.
Öffentliche Konsultation
Im September 2014 startete die Europäisch Kommission eine öffentliche Konsultation. Darin schlug sie vier Optionen für die Erstellung von EDC-Kriterien vor. Lediglich Option 3 ließ einen gefahrenbasierten Ansatz zu und somit auch die vorsorgliche Regulierung von potentiellen EDCs, während die Optionen 1,2 und 4 risikobasiert waren.
Sowohl die kanadische wie auch die US-amerikanische Regierung nahmen an dem Konsultationsprozess teil und sprachen sich unisono mit Handels- und WirtschaftsvertreterInnen ausdrücklich für einen risikobasierten Ansatz bei der Entwicklung von EDCs-Kriterien aus.
„Die Anwendung von ausschließlich gefahrenbasierten Ausschlusskriterien
[für EDCs] haben das Potential, den kanadischen und globalen Export von
Agrar- und Lebensmittelprodukten in die EU signifikant zu behindern.“
(Kanadische Regierung 2015)
Dagegen gab es viele Beiträge, die sich für einen gefahrenbasierten Ansatz aussprachen. Darunter waren Umwelt- und Verbraucherschutzorganisationen, Wissenschaftlicher*innen und über 20.000 Einzelpersonen. Sie alle warnten davor, dass ein Schutz vor EDCs nur durch einen gefahrenbasierten Ansatz möglich sei und gaben zu bedenken, dass EDCs eine Gefahr für Menschen, Tiere und Pflanzen sowie der Umwelt darstellen.
Wandel im Sinne der Industrie
Mit knapp drei Jahren Verspätung legte die Europäische Kommission am 15. Juni 2016 neue Entwürfe für EDC-Kriterien vor über die nun der Ständige Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Lebensmittel und Futtermittel entscheiden soll. Anders als der Vorschlag aus dem Jahr 2013 ignorieren die neuen Vorschläge das Vorsorgeprinzip. Nach dem neuen Vorschlag muss die schädliche Wirkung eines Stoffes „bekannt“ sein. Chemikalien, die in Laborstudien eindeutig als hormonelle Schadstoffe identifiziert wurden, wären danach weiterhin erlaubt – solange, bis Krankheiten zweifelsfrei auf diese Schadstoffe zurückzuführen sind. Dies widerspricht dem Vorsorgeprinzip.
Mehr Informationen zu EDCs finden Sie hier: Hormonell wirksame Chemikalien