Willkommen beim großen Online-Kongress "Visions for Transition - Wie Landwirtschaft und Städte der Zukunft die Artenvielfalt bewahren".
Wir bedanken uns bei allen die an unserem Online-Kongress dabei waren.
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Kein Problem: Ab 18. Mai stehen Ihnen alle Vorträge als Video online zur Verfügung
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Das war Visions for Transition
Wie wollen wir in Zukunft leben, wie können wir in Zukunft leben? Wie werden unsere Landschaften in 10, zwanzig Jahren aussehen? Was werden wir essen? Wie werden unsere Dörfer und Städte aussehen? Angesichts der Klimakrise, des Artensterbens und vieler anderer globaler Nachhaltigkeitskrisen ist eines klar: Wollen wir weiterhin im relativen Wohlstand leben, dürfen wir nicht so weiter tun wie bisher. Wie mögliche Alternativen aussehen können, zeigten über 20 hochkarätige WissenschaftlerInnen bei der GLOBAL 2000-Konferenz „Visions for Transistion“ auf.
Die konventionelle Landwirtschaft ist in einer Sackgasse. Sie ist Mitverursacherin und zugleich Leidtragende einer Reihe von katastrophalen Fehlentwicklungen, die zu Artensterben und Klimakrise geführt haben. Gleichzeitig leben immer mehr Menschen in Städten ‒ bis 2030 werden es über 60 Prozent der Weltbevölkerung sein. Während Städte weltweit nur drei Prozent der Fläche einnehmen, zeichnen sie für 70 Prozent der Treibhausgas-Emissionen verantwortlich. Ihre BewohnerInnen leiden zunehmend unter den Folgen des Klimawandels und der Entfremdung von der Natur. Die Frage, wie Städte auch in Zukunft lebenswert bleiben können, gewinnt immer mehr an Brisanz. Stadt und Land sehen sich riesigen Herausforderungen gegenüber.
Wie kann der Weg aus der Krise gelingen?
Dieser zukunftsweisenden Frage sind wir Rahmen des internationalen Online-Kongresses „Visions for Transition – wie Landwirtschaft und Städte der Zukunft die Artenvielfalt bewahren“ am 11. und 12. Mai 2020 nachgegangen und damit auf ein überwältigendes Interesse gestoßen: mehr als 10.000 TeilnehmerInnen folgten den Ausführungen der 24 Vortragenden aus aller Welt. Das einhellige Credo lautete „Weitermachen wie bisher, ist keine Option!“.
An beiden Tagen teilte sich das Programm in zwei Teilbereiche. Auf der einen Seite ging es um das Thema „Landwirtschaft der Zukunft“, auf der anderen um „Biodiversität und Städte und Gemeinden der Zukunft“. Die hochkarätigen ReferentInnen wurden nach Multidisziplinarität und Praxisorientierung ausgewählt. Nach kompakten 20-minütigen Vorträgen gab es jeweils Zeit und Raum für die Beantwortung der von den BesucherInnen online gestellten Fragen und für Kommentare. Ergänzt wurden die allgemein zugänglichen Vortragsreihen durch zwei „Roundtables“ mit limitierter TeilnehmerInnenzahl. Während der „Next Generation Roundtable“ nach Visionen für zukünftige Ernährung und Konsum suchte, setzten sich beim „Landwirtschaftsroundtable“ VertreterInnnen der Österreichischen Landwirtschaftskammer, der BIO Austria und der Österreichischen Klein- und BergbäuerInnen-Vereinigung mit der Frage auseinander, welche Voraussetzungen Politik, Handel und Gesellschaft schaffen müssen, damit LandwirtInnen in der Lage und motiviert sind, den Schritt in einen transformativen Wandel hin zu einer stärkeren Ökologisierung zu wagen. Die Ergebnisse der Gesprächsrunden wurden anschließend präsentiert und diskutiert.
Die Konferenz ging mit einem von Rob Hopkins, Miriam Bahn und Martin Wildenberg gestalteten Zukunftsworkshop zu Ende. Hier konnten TeilnehmerInnen eigenen Visionen entwickeln und in Worte fassen.
Was wir uns mitnehmen
Wir leben in einer komplexen, vernetzten Welt. Einer Welt, in der unsere globale, profitorientierte Wirtschaftsweise zu einer immer massiveren Ausbeutung von Mensch, Tier und Umwelt führt – zugunsten einer globalen Minderheit. Das hat dramatische Auswirkungen auf den fortschreitenden Klimawandel und führt zu besorgniserregenden und unwiederbringlichen Biodiversitätsverlusten.
„Weitermachen wie bisher ist keine Option“
Darüber sind sich WissenschaftlerInnen, Gemeinde- und BauernvertreterInnen, sowie die UmweltschützerInnen und VertreterInnen von Jugendbewegungen wie Fridays for Future und Landjugend einig. Aber was sind die Alternativen?
Hinter „Transition movements“ verbirgt sich das Streben nach einem umfassenden Systemwandel. Kein „Dahinwurschteln“ im leicht modifizierten und optimierten alten System. Kein „More of the same“. Es braucht eine Revolution.
Gemeinsam soll eine Transformation der gesellschaftlichen und ökologischen Werte erreicht werden, die auf unser soziales Leben, politische Entscheidungsprozesse und die Wirtschaft umfassend wirkt. Nur so kann von innen heraus eine grundlegende Veränderung stattfinden. Nur diese Herangehensweise würde uns die globalen entwicklungspolitischen Ziele (Sustainable Development Goals) erreichen lassen. Die herkömmliche Green Economy lässt Gerechtigkeit, Armuts- und Hungerbekämpfung, Bildung, etc. unbeantwortet. Um die Transformation auf Schiene zu bringen, schlägt Rob Hopkins vor, unsere Kreativität zu trainieren. Denn am Anfang jeder bahnbrechenden Bewegung steht ein Gedanke, eine Idee. Wenn wir in Worte fassen, wie wir leben wollen, setzen wir Prozesse in Gang.
Tiefgreifende Veränderungen in allen Bereichen
Weitgehend einig waren sich die WissenschaftlerInnen darin, dass die Bewältigung der Biodiversitäts- und Klimakrise tiefgreifende Veränderungen in allen Bereichen unseres Ernährungssystems erfordert. Dass dringender Handlungsbedarf besteht, besonders in der EU, damit wir ein widerstandsfähiges Ernährungssystem schaffen, das die planetaren Grenzen, die wir bereits überschritten haben, respektiert. Und dass Schlüsselbereiche, wie Verlust der biologischen Vielfalt, Überdüngung, Bodendegradation und Klimawandel dringend unserer Aufmerksamkeit bedürfen.
Als ein wesentlicher Treiber für die gegenwärtigen ökologischen Krisen wurden chemie- und energie-intensive landwirtschaftliche Produktionsweisen identifiziert und man verwies dabei auch auf deren verheerende Auswirkungen auf die sozio-ökonomischen Strukturen am Land. Nicht nur der Druck, den diese Form der Landwirtschaft auf die Natur ausübe, sei enorm, sondern auch der Druck auf die LandwirtInnen selbst. Die WissenschaftlerInnen waren durchwegs davon überzeugt, dass eine moderne, biodiversitäts- und klimafreundliche Landwirtschaft auf agrarökologische Prinzipien setzt. Dass statt großflächiger Monokulturen kleinteilige Strukturen forciert gehören. Hecken und Windschutzstreifen vor Winderosion schützen und Nistmöglichkeiten und Unterschlupf für Insekten und Nutztiere bieten und die Selbstregulierung innerhalb des Agrar-Ökosystems verbessern. Gemischte Anbausysteme, standortangepasste Fruchtfolgen, vielfältige Nutzpflanzen und die Bevorzugung lokaler und widerstandsfähiger Sorten das System mit Blick auf die wachsenden Herausforderungen durch den Klimawandel widerstandsfähiger, machen. Besondere Bedeutung maßen sie der Gesundheit und Vielfalt des Bodenlebens bei. Gesunde humusreiche Böden würden gute Erträge ermöglichen, den Schädlingsdruck reduzieren und bei so genannten Starkregenereignissen Wasser ebenso gut aufnehmen, wie bei Trockenheit speichern.
Eine Transformation unserer Landwirtschaft verlangt nach Veränderungen in der gesamten Lebensmittelkette. Das umfasst das Verhalten der KonsumentInnen (Ernährungs- und Einkaufsgewohnheiten), Handel und Vertrieb (Kostenwahrheit, innovative Vermarktungssysteme) und gesetzliche Vorgaben und Anreize (Agrarförderungen). Der Ökologe Wolfgang Cramer betonte besonders, welch große Rolle den KonsumentInnen zukomme. Es brauche ein Mehr an Wertschätzung für Lebensmittel und gesunde Ernährung. Eine vorwiegend auf Pflanzen basierte, biologische Ernährung sei das Ziel – im Sinne des Klima- und des Artenschutzes und der Gesundheit. Gleichzeitig hebt Cramre hervor, dass sich keineswegs alle Menschen rein vegan ernähren müssten, wichtig sei aber besonders bei Fleisch, Qualität vor Quantität und die Art der Tierhaltung.
Die WissenschaftlerInnen sind sich einig
Sie betonten wiederholt, dass die Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union möglicherweise einen positiven Lenkungseffekt hätte, wenn sie an den Zielen des European Green Deal ausgerichtet wird. LandwirtInnen sollten jene finanzielle Unterstützung erhalten, die sie brauchen, um ihre Produktionsweise nachhaltig zu gestalten. Diese Förderungen wären an klar definierte ökologische Kriterien in der Produktion zu knüpfen. Der Botaniker Franz Essl vom österreichischen Biodiversitätsrat forderte unter anderem von der GAP (Gemeinsame Agrarpolitik) eine ausreichend finanzielle Unterstützung für Flächen, die im Sinne der Biodiversität bewirtschaftet werden. Eine Forderung, die auch von Julianna Fehlinger, die die österreichischen Berg- und KleinbäuerInnen vertritt, unterstützt wird. Hat doch die Vergangenheit gezeigt, dass viele Maßnahmen, die unter dem Deckmantel von umweltfreundlichen Subventionen unterstützt wurden, keinerlei Auswirkung auf den Verlust der Artenvielfalt hatten. BäuerInnen seien aufgrund niedriger Preise im Korsett der Abhängigkeiten gefangen und hätten einen viel zu geringen Handlungsspielraum. Anders gesagt: Sie können nicht, selbst wenn sie wollten. Dabei würden laut Christof Kuhn von BirdLife bereits zehn bis 15 Prozent der Biodiversitätsflächen in der Landschaft ausreichen, um für eine stabile Artenvielfalt zu sorgen.
Oft fiel der Begriff „Agrarökologie“ als Lösungsweg aus den globalen Krisen. Nicolas Dendoncker, ein Befürworter dieser landwirtschaftlichen und sozialen Bewegung, erklärt den Begriff anhand von Permakultur. Agrarökologie berücksichtigt alle Lebensräume und deren Wechselbeziehungen.
Das so genannte „Smart-Farming“, das auf Digitalisierung und neue technische Methoden setzt, sieht Dendoncker nicht als Lösung der anstehenden Probleme. Hierbei handle es sich lediglich um einen neuen Ansatz, bei dem das alte System weitergeführt werde. Die Abhängigkeit der Bauern und Bäuerinnen von der Agroindustrie würde dadurch noch zusätzlich verstärkt.
Eine positivere Sichtweise auf neue digitale Technologien vertrat Violette Geissen, Professorin für Soil Degradation and Land Management an der Uni Wageningen. Insbesondere im Einsatz von autonomen Agrarrobotern zur nicht-chemischen Unkrautbekämpfung erkennt sie Potenziale zur Optimierung agrarökologischer Anbausysteme. Des Öfteren wurde auf den Zusammenhang zwischen Gesundheit, dem Auftreten von Pandemien und dem Umgang mit globalen Ressourcen hingewiesen – auch aus aktuellem Anlass. Geissen kritisierte dabei eine falsche Verteilung und Verschwendung von Lebensmitteln. Billig produziertes Essen sei nicht nur ungesund, sondern komme der Umwelt teuer zu stehen: Denn die rund 2.000 am europäischen Markt befindlichen Pestizide können nicht einfach verschwinden. Sie landen in unserem Essen, Luft, Boden und Gewässern. In diesem Zusammenhang hat auch der Bienenökologe Dave Goulson festgestellt, dass bereits drei Viertel aller bienenfreundlichen Pflanzen Pestizide enthalten. Wie stark die industrielle Landwirtschaft unsere Gesundheit angreift, erklärte anschaulich der Mediziner Martin Grassberger. Die dadurch verursachte schädliche Störung der Darmflora sei in unserer Gesellschaft bereits weit verbreitet und Verursacher vieler chronischer Krankheiten. Laut Josef Settele, Biologe und Mitglied des Weltbiodiversitätsrats, drohten in Zukunft noch viel größere Pandemien. Denn immerhin würden 70 Prozent aller neu auftretenden Krankheiten von wilden oder domestizierten Tieren auf den Menschen übertragen. Fehlende, weil zerstörte ökologische Barrieren, förderten diesen Umstand. Fazit: Unser Umgang mit der Natur und den Tieren, habe einen unmittelbaren Einfluss auf unsere Gesundheit und Sicherheit. Machen wir weiter wie bisher, bedrohe die industrielle Landwirtschaft und unser durch Hyperkonsum angetriebenes Wirtschaftssystem unsere Gesundheit.
Die Umweltpolitologin Alice Vadrot sieht in der Corona-Krise eine Chance. Jetzt könnten alte Strukturen hinterfragt und neu geordnet werden.
Wie schaut die Landwirtschaft der Zukunft aus?
Sie ist organisch, regenerativ und vielfältig, sie berücksichtigt regionale naturräumliche und gesellschaftliche Eigenheiten und geht neue Wege in der Vermarktung. Der Wert artenreicher Landschaften wie etwa extensiv genutzte Graslandschaften, die laut der Vegetationsökologin Monika Janišová nach den Regenwäldern zu den artenreichsten Flächen überhaupt zählen, wird anerkannt und deren Erhalt gefördert. Der Landschaftsökologe Johannes Rüdisser brachte es auf den Punkt, indem er betonte, dass der Schutz der noch verbleibenden biologischen Vielfalt eine der größten und wichtigsten globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts sei.
Leuchtende Beispiele für Biodiversität in Städten und Gemeinden
Dass auch Siedlungsräume einen wesentlichen Beitrag zum Wandel leisten können und müssen, und wie eine erfolgreiche Transformation in einer Gemeinde aussehen kann, veranschaulichte Leo Kudlicka am Vorbild Friesach, der ersten Transition Town Österreichs. Auch das Smart City-Konzept der Stadt Wien sei ein positives Beispiel, betonte die Architektin Ina Homeier. Es brauche Visionen, Engagement und positives Storytelling. Denn wir befänden uns jetzt im größten sozialen Experiment, das je stattgefunden habe. Dass dabei vieles im Kleinen seinen Anfang haben könne, beschrieb Dave Goulson in seinem Vortrag zum „Wildlife Gardening“. Zur Förderung und Wertschätzung von Biodiversität in Städten schlug er vor, Unkräuter als Beikräuter zu erkennen und urbane Grünflächen in Insektenreservate umzuwandeln. Martin Wildenberg, Nachhaltigkeits- und Biodiversitätsexperte bei GLOBAL 2000 und Katka Klimova, Ökologin von BROZ, betonten in ihrem Vortrag zum Projekt „Blühlinge“ die Bedeutung von Bildungsarbeit und Bewusstseinsbildung für die Umsetzung von Biodiversitätsprojekten. Wir hätten uns zunehmend von der Natur entfremdet – sie müsse wieder in unser Blickfeld rücken. Kindern schon früh einen Zugang zur Natur zu ermöglichen, sahen die beiden gerade in Städten als besonders wichtig an, ganz im Sinne des Imkers und ehemaligen Bürgermeisters der Vorarlberger Gemeinde Rankweil, Martin Summer. Rankweil ist seit Jahren ein Paradebeispiel für die Förderung der Artenvielfalt auf öffentlichen Grünflächen.