18.11.2020

Kann Österreich Glyphosat verbieten?

Als im Herbst 2017 auf EU-Ebene über eine Lizenzverlängerung des Pestizidwirkstoffes Glyphosat abgestimmt wurde, zählte Österreich zu jenen Ländern, die dagegen gestimmt haben. Dies, obwohl das zuständige ÖVP-geführte Landwirtschaftsministerium ein Glyphosatverbot zuvor stets abgelehnt hatte. Das österreichische „Nein“ zu einer Lizenzverlängerung entstand durch einen Beschluss im Parlamentexternal link, opens in a new tab durch SPÖ, Grüne und FPÖ. Dieser war kurz vor der Nationalratswahl 2017 im freien Spiel der Kräfte zustande gekommen und verpflichtete den Landwirtschaftsminister (ÖVP), in Brüssel gegen die Wiedergenehmigung von Glyphosat zu stimmen.

Vorgeschichte des Glyphosatverbots in Österreich und Deutschland

Nach dem österreichischen Nein zu einer Lizenzverlängerung gingen die Wogen hoch, als der deutsche Agrarminister Christian Schmidt für eine Lizenzverlängerung von Glyphosat stimmte und somit gegen die Geschäftsordnung der deutschen Bundesregierungexternal link, opens in a new tab und die Koalitionsvereinbarung verstieß. Meinungsumfragen zufolge wünschten sich damals über 80 % der Bürgerinnen und Bürger ein österreichisches Glyphosatverbot.

Reaktionen auf die Wiedergenehmigung von Glyphosat in Österreich

Nach der Linzenzverlängerung auf EU-Ebene kündigte die SPÖ als Oppositionspartei an, einen Gesetzesantrag für ein nationales Verbotexternal link, opens in a new tab von Glyphosat einzubringen. Daraufhin sprach sich Mitte Dezember 2017 auch die ÖVP im Rahmen eines Interviews des Bundeskanzlers Sebastian Kurz mit der Kronen Zeitung für ein Verbot von Glyphosat aus. Des Weiteren wurde am selben Tag ein österreichweites Verbot von Glyphosat „als eine der ersten Maßnahmen der gemeinsamen Regierungsarbeitexternal link, opens in a new tab“ von ÖVP und FPÖ angekündigt und zeitgleich brachte die SPÖ ihren Gesetzesantragexternal link, opens in a new tab für ein Verbot des Inverkehrbringens von Pflanzenschutzmitteln mit dem Wirkstoff Glyphosat im Sinne des Vorsorgeprinzips ein.

Bereits am darauf folgenden Tag dämpfte die Agentur für Gesundheit und Ernährung (AGES) die Hoffnungen der ÖsterreicherInnen auf ein baldiges Glyphosatverbot. Laut AGESexternal link, opens in a new tab soll ein vom Ministerium beauftragtes Rechtsgutachten des Europarechtlers Prof. Walter Obwexer von der Universität Innsbruck zeigen, dass ein Glyphosatverbot nicht mit EU-Recht vereinbar sei. Daraufhin beauftragte das Landwirtschaftsministerium eine Machbarkeitsstudieexternal link, opens in a new tab, welche die Möglichkeiten und Auswirkungen eines Ausstiegs aus Glyphosat abklären sollte. Die Regierungsparteien blockierten die Behandlung des Gesetzesantrags mit dem Argument, auf das Ergebnis der Studie zu warten. Die Veröffentlichung wurde jedoch mehrmals verschoben.

Neue Bewegungen durch den Ibiza-Skandal

Nach Ende der ÖVP-FPÖ Regierung konnte im freien Spiel der Kräfte der Gesetzesantrag auf die parlamentarische Agenda gesetzt werden. Somit wurde ein Abstimmungstermin im österreichischen Parlament erreicht. Im Gegensatz dazu brachte die ÖVP einen eigenen Antragexternal link, opens in a new tab ein, welcher eine Beschränkung auf die Anwendung im privaten und kommunalen Bereich und spezifische Anwendungsverboteexternal link, opens in a new tab beinhaltete. Wie bereits zuvor argumentierte die ÖVP, dass ein Totalverbot EU-rechtswidrig sei und unterstützte diese Position durch die Präsentation der Ergebnisse der angekündigten Machbarkeitsstudieexternal link, opens in a new tab. Die Studie beruft sich auf die Rechtsinterpretation des Gutachtens von Walter Obwexerexternal link, opens in a new tab aus dem Jahr 2017. Sowohl die Studienergebnisse als auch das Gutachten wurden erst einen Tag vor der Abstimmung im Parlament veröffentlicht.

Inhalte des Rechtsgutachtens von Prof. Walter Obwexerexternal link, opens in a new tab:

Das Rechtsgutachten besagt, dass ein Totalverbot des Wirkstoffes Glyphosat nicht dem EU-Recht external link, opens in a new tabentspricht. Ein nationales Verbot ist nach Obwexer nur unter zwei Bedingungen möglich. Es müssten neue wissenschaftliche Erkenntnisse vorgelegt werden, die bei der Zulassung von Glyphosat 2017 nicht bekannt waren. Zweitens müssten spezielle Probleme etwa für Umwelt oder Gesundheit nachgewiesen werden, die es nur in Österreich, aber in keinem anderen EU-Staat gibt. Laut Walter Obwexer müssen beide Voraussetzungen erfüllt sein, damit ein Verbot EU-rechtskonform wäre, laut der Machbarkeitsstudie wäre jedoch keine der Bedingungen erfüllt.

Notifizierung in zwei Anläufen

Erste Abstimmung im österreichischen Parlament

Anfang Juli 2019 stimmten alle Parlamentsparteien mit Ausnahme der ÖVP für ein Totalverbot von Glyphosat, welches nach einer ordnungsgemäßen Beglaubigung durch die EU-Kommission am 1. Jänner 2020 in Kraft treten sollte. Ende August wurde das beschlossene Gesetz bei der EU-Kommission zur Notifizierungexternal link, opens in a new tab vorgelegt.

Erste Notifizierung durch die EU-Kommission

Anfang Dezember 2019 wurde klar, dass die EU-Kommission keine „ausführliche Stellungnahme“, sondern lediglich „Bemerkungen“ abgegeben hatte. Somit sahen die Befürworter des Glyphosatverbots, SPÖexternal link, opens in a new tab, Grüneexternal link, opens in a new tab, Greenpeaceexternal link, opens in a new tab und GLOBAL 2000external link, opens in a new tab die Voraussetzungen für ein Inkrafttreten des Gesetzes mit 1. Jänner als erfüllt an. Die Landwirtschaftskammerexternal link, opens in a new tab (LKÖ) hingegen sprach sich für eine unklare Rechtssituation aus und kritisierte das Vorgehen der EU-Kommission. Zugleich verwies die LKÖ auf Verfahrensmängel bei der Notifizierung des Gesetzes. Um Vertragsverletzungen wegen Verletzung der Notifizierungspflicht zu vermeiden, sprachen sie sich dafür aus, das Gesetz mit Beginn des Jahres 2020 nicht in Kraft treten zu lassen und bezogen sich auch hier auf das Rechtsgutachten von Prof. Walter Obwexer.

Tatsächlich hatte die EU-Kommission kritisiert, dass das Gesetz als Entwurf zur Notifizierung eingereicht hätte werden sollen. Da das österreichische Gesetz zum Glyphosatverbot bereits nach einem Beschluss im National- und Bundesrat zur Notifizierung eingereicht wurde, erklärte folglich die interimistische Bundeskanzlerin Brigitte Bierleinexternal link, opens in a new tab, dass das Verbot aus rechtlichen Gründen nicht kundgemacht werden könne.

Zweite Notifizierung durch die EU-Kommission

Durch die rechtlichen Probleme wurde Mitte Mai 2020 der Gesetzestext ein zweites Mal als Entwurf der EU-Kommission zur Notifizierungexternal link, opens in a new tab vorgelegt. Die Kommission verzichtete erneut auf eine „ausführliche Stellungnahme“ und kritisierte in Form von Bemerkungenexternal link, opens in a new tab die Vereinbarkeit eines vollständigen Verbots aller Produkte mit einem bestimmten Wirkstoff mit dem EU-Rechtsrahmen.

Nach Ablauf der dreimonatigen Stillhaltefrist hatte sich Tschechien in Form einer „ausführlichen Stellungnahme“ geäußert. Darin gab Tschechien an, dass das Totalverbot von Glyphosat in Österreich „ein potentielles Hemmnis für den freien Warenverkehr auf dem Binnenmarkt“ darstelle. Durch dieses Vorgehen wurde die Stillhaltefrist um weitere drei Monate verlängert.

Reaktionen in Österreich

Dessen ungeachtet erklärte das Landwirtschaftsministerium am 19. September 2020 die EU-Kommission habe „in einer Stellungnahme“ einem österreichischen Glyphosatverbot „eine klare Absage“ erteilt. Wir haben darauf hingewiesen, dass diese Darstellung sachlich falsch ist, da die EU-Kommission keine Stellungnahme und somit keine Absage an Österreich übermittelt hatte. Daher forderten wir von der Landwirtschaftskammer eine Richtigstellungexternal link, opens in a new tab.

Rückendeckung bekam das Landwirtschaftsministerium umgehend von Prof. Walter Obwexer, der in der Mitteilung der Kommission sein Rechtsgutachten von Dezember 2017 als bestätigt ansah. Dieser Meinung widerspricht allerdings der Europarechtsexperte Univ.-Prof. Dr. Geert Van Calsterexternal link, opens in a new tab, Leiter des Instituts für Europarecht und Internationales Recht an der belgischen Universität KU Leuven.

Van Calster betont, dass es eindeutige rechtliche Unterschiede zwischen „Bemerkungen“ und „ausführliche Stellungnahme“ und damit verbundene Rechtsfolgen gibt. Diese Klassifizierung wird von der Kommission definiert und nicht vom Adressaten. Zu dieser Feststellung kam zuvor schon die Parlamentsdirektionexternal link, opens in a new tab in einem Schreiben an die Clubchefs der Fraktionen. Die Landwirtschaftskammer beharrt jedoch bis heute auf der "Absage des Glyphosatverbots" durch die EU-Kommission.

Nationale Pestizidverbote in anderen EU-Staaten

Die Darstellung des Landwirtschaftsministerium wird auch durch die bereits umgesetzten Pestizidverbote in anderen EU-Staaten in Frage gestellt. Dazu zählen beispielsweise das 2018 in Frankreich umgesetzte Neonicotinoidverbot oder das 2020 in Luxemburg umgesetzte Glyphosatverbot.

Frankreichs Verbot von Neonicotinoid

Als Frankreich ein Verbot gegen Neonicotinoide, eine Gruppe von hochwirksamen Insektiziden, durchsetzen wollte, zeigten sich auffallende Parallelen zum österreichischen Glyphosatverbot. Wie auch im österreichischen Fall brachte Frankreich den Gesetzesvorschlagexternal link, opens in a new tab zur Notifizierung bei der EU-Kommission ein und wurde lediglich mit „Bemerkungen“ retourniert. Die ausführliche Stellungnahme kam hier von einem anderen EU-Mitgliedstaat (Ungarn) und somit wurde die Stillhaltefrist automatisch um weitere drei Monate verlängert. Nach Ablauf dieser Frist setzte Frankreich das Verbot mit 1. September 2018 in Kraft und begründeteexternal link, opens in a new tab dies mit der Erhaltung der biologischen Vielfalt und dem Schutz der Bienen. Verboten wurden die Wirkstoffe Thiacloprid und Acetamiprid, wodurch der Industrieverband der Pestizidhersteller gegen Frankreich klagte. In der ersten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs im Oktober 2020 wurde Frankreich Recht gegeben.external link, opens in a new tab

Glyphosatverbot in Luxemburg

Einen anderen Weg ging Luxemburgexternal link, opens in a new tab: Dort wird seit 2019 im Rahmen von Förderprogrammen der freiwillige Verzicht von glyphosathaltigen Pestiziden unterstützt. Daraufhin zog die zuständige Behörde die Zulassung aller Pflanzenschutzmittel mit Glyphosat zurückexternal link, opens in a new tab.

Fazit

Die derzeitige Stillhaltefrist im Notifizierungsverfahren läuft am 19. November 2020 aus. Die Bundesregierung kann jetzt das vom österreichischen Parlament im Juli 2019 mit klarer Mehrheit abgesegnete Glyphosatverbot in Kraft setzen. Die österreichische Bundesregierung hat verschiedene Möglichkeiten, das Pflanzengift aus dem Verkehr zu ziehen und damit dem mehrheitlichen Wunsch der Bevölkerung und des Parlaments endlich Rechnung zu tragen. Ob sie das tut, ist eine Frage des politischen Willens und der politischen Glaubwürdigkeit. Schließlich hatte Bundeskanzler Sebastian Kurz im Dezember 2017 ein österreichisches Glyphosatverbot als eine der ersten Maßnahmen seiner damals neuen türkis-blauen Regierung angekündigt. Bei dem vom Umweltministerium einberufenen „Runden Tisch Glyphosat“ wurde die Möglichkeit diskutiert, Agrarumweltförderungen an den Verzicht auf Glyphosat zu knüpfen. Jetzt ist es an der Zeit, dass die Regierung handelt. Weitere Informationen zum österreichischen Glyphosatverbot finden Sie im GLOBAL 2000-Hintergrundpapier.

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