16.05.2024

10 Schritte für eine sozial und ökologisch gerechte Landwirtschaft der Zukunft

Landwirtschaft, die Artenvielfalt fördert, artgerechte Tierhaltung betreibt und sozial gerecht ist? Sieht so die Landwirtschaft der Zukunft aus? 10 Schritte mit Fokus auf soziale und ökologische Gerechtigkeit zeigen, wie es gelingen kann.

cover des Reports: "10 Schritte"

GLOBAL 2000

Gemeinsam mit BirdLife Österreichexternal link, opens in a new tab, ÖBV-Via Campesina Austriaexternal link, opens in a new tab, Erde & Saatexternal link, opens in a new tab, der Gewerkschaft PRO-GEexternal link, opens in a new tab und Arbeiterkammer Wienexternal link, opens in a new tab haben wir einen 10-Schritte-Plan für eine sozial und ökologisch gerechte Landwirtschaft mit Zukunft erarbeitet. 

Gemeinsame Anliegen aller Organisationen sind:

  1. die notwendige agrarökologische und soziale Transformation der europäischen Landwirtschaft 

  2. die Schaffung von Rahmenbedingungen, die Bauern und Bäuerinnen darin unterstützen, den Wandel hin zu einer zukunftsfähigen, die natürlichen Ressourcen erhaltenden Landwirtschaft voranzutreiben

 

Das sind die 10 Schritte

Schritt 1: Klimawandel bremsen und Resilienz erhöhen:

In Rechtsrahmen für nachhaltige Lebensmittelsysteme muss vorgelegt, der Abbau der Umweltauflagen in der GAP gestoppt und stattdessen in den kommenden GAP-Verhandlungen für mehr Umwelt- und Biodiversitätsschutz eingetreten werden. Das Fördersystem, das bäuerliche Betriebe dabei unterstützt, Umweltherausforderungen zu bewältigen und die bodengebundene Tierhaltung, die zu einer Extensivierung der Tierhaltung führt, müssen grundlegend neu ausgerichtet werden. “Carbon Farming” darf nicht durch Zertifikatehandel zum Ablasshandel verkommen und wirksame Maßnahmen gegen Bodenversiegelung, -verdichtung und -erosion müssen ergriffen werden.

Eine Biene steckt mit ihrem halben Körper in einer violetten Blüte.

GLOBAL 2000/ Dominik Linhard

Schritt 2: Biodiversitätsverlust entgegenwirken:

Verpflichtende Umweltauflagen gehören beibehalten, um 10 % “Space for Nature” zu erreichen. Gleichzeitig gehören Biodiversitätsleistungen angemessen entlohnt. Finanzielle Anreize für eine nachhaltige Bewirtschaftung müssen geschaffen, die Wiederherstellung gefährdeter Lebensräume finanziert und die kleinbäuerliche Struktur erhalten werden, um dem Biodiversitätsverlust entgegenzuwirken.

Schritt 3: Zugang zu vielfältigem Saatgut bewahren:

Neue Gentechnik-Pflanzen müssen weiterhin strikt reguliert und gekennzeichnet und Patente auf konventionelle Verfahren wirksam ausgeschlossen werden. Der Vorschlag für das EU-Saatgutrecht im Sinne der Kulturpflanzenvielfalt und die Rechte von Bäuerinnen und Bauern gehören überarbeitet.

Schritt 4: Verpflichtende Pestizidreduktion umsetzen:

Die EU-Pestizidreduktionsziele müssen erreicht und ein sinnvolles Messinstrument dafür erarbeitet werden, ökonomische Steuerungsinstrumente zur Pestizidreduktion gehören geprüft und ein Pestizidverbot in ökologisch sensiblen Gebieten eingeführt.

Schritt 5: Biolandwirtschaft stärken:

Die neue GAP muss in konsistenter Abstimmung mit allen Politikbereichen, die einen Einfluss auf die Entwicklung der biologischen Wirtschaftsweise haben, entwickelt werden; Agrarumweltförderungen gehören an agrarökologische Bewirtschaftungssysteme als Basis – mit der Bio-Landwirtschaft als höchstwertiges System – gebunden und die erbrachten Umweltleistungen der Bio-Landwirtschaft müssen fair abgegolten werden.

Schritt 6: Digitalisierung kritisch begleiten:

Digitalisierung darf kein Ersatz für eine echte Transformation der Landwirtschaft hin zu agrarökologischen Systemen sein. Die Technikfolgen müssen umfassend abgeschätzt, praxisnahe Open-Source-Lösungen gefördert und das Recht auf Reparatur und die rechtliche Regelung der Hoheit über die Daten für Bäuerinnen und Bauern garantiert werden.

Schritt 7: Gerechte Verteilung und Einkommen sichern:

Es braucht eine gerechte Umverteilung zur Stärkung einer kleinteiligen Agrarstruktur und von agrarökologischen Vielfaltsbetrieben. Es braucht eine Abkehr von der bisherigen Flächenförderung, stattdessen gehören die Arbeitskraft und ökologische Leistungen honoriert und die Existenzgründung und der Zugang zu Land für Jungbäuerinnen und -bauern und Neueinsteiger:innen gefördert; die Investitionsförderung muss gerechter ausgerichtet werden, eine europäische Landrichtlinie gehört umgesetzt, um der Landkonzentration entgegenzuwirken. Die bäuerliche Position in den Wertschöpfungsketten gehört gestärkt.

Schritt 8: Handel und Agrarmärkte fair und nachhaltig gestalten:

Neoliberale Handelsabkommen müssen gestoppt und die Handelsagenda der EU neu ausgerichtet werden, das Lieferkettengesetz gehört umgesetzt, die Richtlinie über unlautere Handelspraktiken gestärkt und eine gerechte Marktregulierung für agrarökologische und kleinbäuerliche Vielfalt gefördert.

Schritt 9: Tierhaltung und Tierschutz gerecht umbauen:

EU-weit müssen deutlich höhere gesetzliche Tierhaltungs-Mindeststandards eingeführt, ausgebaut und wirksam kontrolliert werden. Langfristig muss der Umbau hin zu einer nachhaltigen und bodengebundenen Tierhaltung mit hohen Tierschutz- und Umweltstandards finanziell und rechtlich abgesichert werden, die auf eine Reduktion und Ökologisierung der Tierhaltung mit regionalen Futtermitteln fokussiert, statt Soja zu importieren. Tiertransporte müssen weiter eingeschränkt werden. Eine EU-weite Aufklärungskampagnen über die maximal empfohlenen Verzehrmengen soll die Reduktion des Konsums tierischer Produkte unterstützen.

Schritt 10: Arbeitsbedingungen und soziale Konditionalität verbessern:

Die soziale Konditionalität innerhalb der GAP muss verbessert und ausgebaut werden. Die EU-Richtlinien für die Rechte von Land- und Erntearbeiter:innen müssen rasch umgesetzt und weiterentwickelt werden. Die Kontrollen zur sozialen Konditionalität gehören ausgebaut und bei Arbeitsrechtsverletzungen müssen wirksame Sanktionen verhängt werden.

Umdenken in der Landwirtschaft zahlt sich aus

Bereits jetzt zeigen Bäuerinnen und Bauern auf ihren Höfen in ganz Europa, welchen Beitrag die Verbesserung von Fruchtfolge, Bodengesundheit, ökologischer Infrastruktur, Vielfalt, nachhaltiger Tierhaltung und Biodiversität leisten kann.Die Reduzierung des Pestizid- und Kunstdüngerbedarfs, die Verbesserung der Wasserspeicherkapazität und Resilienz, die Schließung von Nährstoffkreisläufen sowie die Verringerung des Stresses durch Dürre und Erosion sind nur einige Beispiele dafür.

PestizidReduktionsProgramm

GLOBAL 2000/ Martin Aschauer

EU versäumt Umsetzung von wichtigen Zielen

Mit dem Green Deal, der Biodiversitätsstrategie und der Farm-to-Fork-Strategie als wesentliche Eckpfeiler waren die Erwartungen an die Europäische Kommission 2020 groß. Sie enthielten wichtige Zielformulierungen für eine zukunftsträchtige, nachhaltige Landwirtschaft in der EU.

Das waren die Ziele:

  • Reduktion des Pestizideinsatzes um 50 % bis 2030
  • Reduktion der Nährstoffverluste um 50 % bis 2030
  • Reduktion des Düngereinsatzes um mindestens 20 %
  • Ein EU-weites Bio-Ziel wurde gesetzt: 25 % biologisch bewirtschaftete Agrarfläche bis 2030

Viele dieser Zielsetzungen kamen allerdings zu spät, um sie im Rahmen des wichtigsten europäischen Steuerungssystems im Landwirtschaftsbereich – die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) – umzusetzen. Die Programmperiode war bereits ausgearbeitet, der Versuch einer Ökologisierung der europäischen Landwirtschaft blieb darin weit hinter den Erwartungen. Die ambitionierten Ziele des Green Deal fanden darin keinen Niederschlag.

Massiver Rückschlag auf EU-Ebene

Im Frühjahr 2024 erleben wir in der EU einen großen Rückschritt bei Umwelt- und Sozialmaßnahmen. Diese Rückschritte haben ernste Folgen für die Umwelt, die Bäuerinnen und Bauern und die Gesellschaft. Wichtige Initiativen wurden abgeschwächt, gestoppt oder nie umgesetzt. Einige Maßnahmen wurden sogar zurückgenommen. Die EU-Kommission gibt dem Druck von einigen Mitgliedstaaten, EU-Abgeordneten und Agrarlobbys nach und untergräbt ihre eigenen Ziele des Green Deal, was langfristig die Ernährungssicherheit und das Klima gefährdet.

Wir brauchen klare, politische Signale

Viele dieser Maßnahmen beschleunigen die Industrialisierung der Landwirtschaft und schaden Gesellschaft, Ernährungssicherheit, ländlichen Gebieten, Klima, Umwelt und Artenvielfalt. Die industrielle Landwirtschaft führt zu Artenverlust, Klimakrise und Umweltverschmutzung

Die Frustration der Bäuerinnen und Bauern ist verständlich, da sie unter den Fehlentscheidungen der Politik leiden. Die Handelspolitik erhöht den Druck durch mehr Wettbewerb, und die Agrarpolitik ist zwischen Umweltansprüchen und Wettbewerbsfähigkeit zerrissen. Bürokratische Auflagen verschärfen die Situation. Ohne Antworten auf ihre Bedürfnisse besteht die Gefahr, dass Unmut rückschrittliche Konzepte fördert. Ein Beispiel ist der Abbau von Umweltmaßnahmen in der GAP nach Bauernprotesten.

Brigitte Reisenberger

"Fair, gerecht und umweltfreundlich müssen unsere Landwirtschaft und unser Ernährungssystem werden, das ist unumgänglich. Wir können uns keine weiteren politischen Schnellschüsse oder gar Rückschritte leisten. Der jüngste Abbau von Umweltauflagen in der Landwirtschaft leugnet die Realität von Klima- und Biodiversitätskrise. Was Bäuer:innen jetzt aber dringend brauchen, sind klare politische Signale, das richtige unterstützende Rahmenwerk und wirtschaftlich sichere Bedingungen, um eine zukunftstaugliche Produktion voranzutreiben. Für jene Bäuerinnen und Bauern, die sich bereits jetzt um Umweltbelange kümmern und diese umsetzen, sind die Aufweichungen eine systematische Benachteiligung.”

Brigitte Reisenberger, Landwirtschafts-Expertin von GLOBAL 2000

Ein Wandel ist möglich!

Die im Agrar- und Lebensmittelsystem arbeitenden Menschen können nur dann davon überzeugt werden, sich an diesem Wandel zu beteiligen, wenn sie glaubwürdige Antworten und sozial und ökologisch gerechte Zukunftsperspektiven erhalten.

Die 10 Schritte sind notwendig, um Bäuerinnen und Bauern in die Lage zu versetzen, den Wandel hin zu einer zukunftsfähigen Landwirtschaft anzugehen. Einer Landwirtschaft, die agrarökologische und biologische Prinzipien in den Vordergrund stellt. Dadurch können Bäuerinnen und Bauern das Tierwohl steigern, den Boden und die Gewässer schützen, klimafreundlich und Artenvielfalt fördernd arbeiten und gleichzeitig gesunde Lebensmittel produzieren.

Es braucht grundlegende Änderung der Rahmenbedingungen in der EU

Es braucht EU-Politiken, die die Interessen der Bäuerinnen und Bauern ebenso ernst nimmt wie die Notwendigkeit einer ökologischen Transformation und die Rechte der Arbeiter:innen und Konsumentinnen und Konsumenten. Wenn wir eine nachhaltige Lebensmittelproduktion und eine intakte Umwelt wollen, brauchen wir eine grundlegende Änderung der Rahmenbedingungen in der EU.

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